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Immer mehr Menschen können von ihrer Rente nicht mehr leben und müssen Sozialhilfe beantragen.

© dpa

Gastbeitrag: Rettet das Rentensystem

Statt all der familienpolitischen Milchmädchenrechnungen: Kinderlose sollten weniger Rente bekommen, Eltern dafür mehr. Denn der Mangel an Kindern ist die zentrale Ursache für die Nöte der Alterssicherung.

Die Altersarmut erreicht die Mittelschicht! Mit dieser Botschaft schockte Bundessozialministerin Ursula von der Leyen Anfang September die Öffentlichkeit. Demnach droht jedem, der pro Stunde höchstens 12 Euro verdient, selbst nach 40 Beitragsjahren als Vollzeitbeschäftigter ab 2030 eine Rente auf Grundsicherungsniveau, das sind derzeit 688 Euro im Monat. Davon wären Millionen Erwerbstätige betroffen, die sich keine zusätzliche private Vorsorge per Riester-Rente leisten wollen oder können. Schuld daran ist die beschlossene Absenkung des Nettorentenniveaus von rund 50 auf etwa 43 Prozent als politische Antwort auf die fortschreitende Überalterung der Bevölkerung.

Das Konzept der Minister einer „Zuschussrente“ als Vorbeugung gegen die absehbare Welle an Altersarmut ist jedoch nicht durchsetzbar. Für die selbst ernannten Verteidiger der jungen Beitragszahler wäre das eine Lösung zu Lasten der Nachwuchsgeneration. Sie pochen auf die geplante Rentenabsenkung und verlangen unverdrossen mehr staatliche Hilfen bei der Privatvorsorge durch das Riestersparen – ganz so, als hätte die Finanzmarktkrise des Jahres 2008 nicht die Alterssicherung von Millionen Menschen pulverisiert und könnte die europäische Staatsschuldenkrise nicht die gleiche Wirkung haben.

Genau das lässt die andere Gruppe der Kritiker von der Leyens, unter ihnen Ex-Bundessozialminister Norbert Blüm, nach der „guten alten Rentenversicherung“ rufen. Sie wollen das Rentenniveau der Jahrtausendwende wiederhaben, bezahlt aus den bisherigen staatlichen Zuschüssen für die Privatrente und höheren Rentenbeiträgen, an denen sich die Arbeitgeber wieder zur Hälfte beteiligen sollen. Diese Mehrbelastung sei für die Jungen verkraftbar, wenn sie ausreichend hohe Einkommen verdienen könnten. Dafür bedürfe es einer guten Ausbildung und effektiver Maßnahmen gegen das grassierende Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt.

Doch auch dieses Rezept ist eine Milchmädchenrechnung. Denn anders als seine Befürworter meinen, sind hohe Löhne eben kein Mittel zur Altersvorsorge. Sie bedienen nur die heutigen Rentner und erhöhen lediglich die eigenen Rentenansprüche – Ansprüche, die völlig wertlos sind, wenn es keine ausreichend große, leistungsfähige und zum Teilen bereite Nachwuchsgeneration gibt.

Die Fehlkonstruktion bringt den Mangel selbst hervor.

Bert Rürup, Architekt des heutigen Rentenkonzepts, brachte das Problem noch vor der Jahrtausendwende auf den Punkt: „Die durch demografische Entwicklung vorprogrammierten Belastungen unseres Rentensystems bis zum Jahr 2040 rühren zu einem Drittel aus der Zunahme der Lebenserwartung und zu zwei Dritteln aus der Geburtenentwicklung her.“

Der Mangel an Kindern ist die zentrale Ursache für die Nöte der Alterssicherung. Dank ihrer Fehlkonstruktion bringt sie diesen Mangel selbst hervor. Nach der Systemlogik verzichtet man nämlich am besten auf eigenen Nachwuchs. Wer sich die „Investition“ in Kinder erspart, kann durchgängig erwerbstätig bleiben, vermeidet Ausgaben und erwirbt damit die höchsten Rentenansprüche.

Diese Botschaft ist angekommen. Das zeigt nicht nur der Rückgang kinderreicher Familien, sondern vor allem der rekordverdächtige Anstieg von kinderlosen und kinderarmen Frauen.

Genau vor dieser Entwicklung hatte der „Erfinder“ des dynamischen Rentensystems, der Ökonom und Adenauer-Berater Wilfrid Schreiber, bereits Mitte der 50er Jahre gewarnt: „Wer kinderlos oder kinderarm ins Rentenalter geht und, mit dem Pathos des Selbstgerechten, für gleiche Beitragsleistungen gleiche Rente verlangt und erhält, zehrt im Grunde parasitär an der Mehrleistung der Kinderreichen, die seine Minderleistung kompensiert haben.“

Die logische, kostenneutrale Konsequenz daraus: Mehr Renten für Eltern und Rentenkürzung für Kinderlose. Dann würden die bestehenden Kinderwünsche vieler junger Paare nicht nur mit persönlichem Glück, sondern auch mehr materieller Sicherheit im Alter belohnt – und das Rentensystem hätte wieder die Grundlage, um langfristig ein auskömmliches Niveau für alle zu bieten.

Der Autor leitet das Heidelberger Büro für Familienfragen und soziale Sicherheit.

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