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Gastkommentar: Türke mit deutschem Pass - was sonst?

Die völkische Ursuppe schmeckt Kamuran Sezer nicht. Er meint: Die Sarrazin’sche These, wonach Deutschland sich abschaffe, wird nicht eintreten: Es wird ein neues Wir entstehen.

Ich bin ein Türke mit deutschem Pass! Das ist ein Bekenntnis, das viele Deutsche irritiert oder dem mit Vehemenz widersprochen wird. Dieser Reflex der Mehrheitsgesellschaft ist vielen sogenannten Migranten bekannt und wird als Instrument der Ausgrenzung wahrgenommen. Denn: Wie kann ich ein „Deutscher“ werden?

Türkisch ist meine Muttersprache. Wenn ich meiner Mutter meine Zuneigung ausdrücke, dann tue ich das in türkischer Sprache. Möchte ich meinem Vater meinen Respekt bezeugen, so verbeuge ich mich vor ihm und küsse ihm die Hand. So bekundet ein junger türkischer Mann seinen Respekt gegenüber Älteren. Ebenso ist mir die Integrität und Souveränität der Türkei heilig. Mein Verantwortungsgefühl gegenüber Deutschland aber ist noch viel größer. Denn ich befinde mich in einer Symbiose mit dieser Gesellschaft: Meine Familie und Freunde leben hier. Ihr Wohlbefinden bestimmt mein Handeln. Werden in der Türkei die Steuern erhöht, dann betrifft es mich nicht. Wenn sich aber die deutsche Gesundheitsversorgung verschlechtert, bin ich besorgt um die Menschen, die ich liebe. Das Wohl dieses Landes hängt also unmittelbar mit meinem egoistischen Wunsch nach Sicherheit, Wohlstand und Gesundheit zusammen. Kurz: Ich muss kein „Deutscher“ werden, um hier anzukommen oder als angekommen zu gelten!

Kamuran Sezer ist Leiter des Futureorg-Instituts und Kolumnist beim DTJ Online.
Kamuran Sezer ist Leiter des Futureorg-Instituts und Kolumnist beim DTJ Online.

© promo

Und woran sollte ich mich beim „Deutschwerden“ überhaupt orientieren? Am Rheinländer mit seinem Karnevalsfest? Oder am Bayern, der sich auf dem Oktoberfest Bierkrüge schwingend amüsiert? Das sind Stereotype – keine Frage. Entsprechend wenig eignen sie sich auch als Lebenslotsen für den Migranten. In Wahrheit beheimatet Deutschland unzählige Lebenskonstruktionen und Lebenswelten.

Die Sozialstrukturforschung kennt Dutzende: der Traditionelle, der Kleinbürgerliche, der Hedonist, der Selbstverwirklicher. Auch in der Integrationsdebatte haben sich unterschiedliche Menschen zu Wort gemeldet und legten dem gemeinen Migranten jeweils das eigene Lebenskonzept als erstrebenswert nahe.

Die Feministin, die unbedingt die unterdrückte muslimische Frau befreien will. Der nostalgische Technokrat, der analysiert, wie dumm und rückständig Menschen außerhalb Europas sind. Der väterliche Lokalpolitiker, der aus seiner Dienstlimousine heraus verkündet, dass Neukölln überall wäre. Die Deutschlandstiftung Integration, die in ihrem Bewerbungsratgeber tatsächlich empfiehlt, die Muslima möge für den Berufserfolg unbedingt das Kopftuch absetzen.

Ich möchte es kurz und schmerzlos machen: Sie alle nerven gewaltig! Vom linken Gutmenschen über den Versicherungsvertreter bis zum Rechtskonservativen, die allesamt bemüht sind, mir bei meiner Integration zu helfen. Die meisten von ihnen haben keine Vorstellung davon, wie schön es ist, ein Türke in diesem Land zu sein – mit unserer Gastronomie, unseren Theatern, Vereinen, Unternehmen und Schulen. Von München bis Bremen haben wir ein Netz aus soziokulturellen und -ökonomischen Zentren gesponnen, mittels dessen wir uns des Lebens erfreuen aber auch unsere eigenen Zukunftspläne schmieden.

Der Türke wird nicht zum Deutschen. Er wird sich nicht in einer völkischen Ursuppe bis zur Unkenntlichkeit auflösen. Vielmehr verschmilzt er mit der deutschen Gesellschaft: Das Deutsche wird das Türkische prägen wie das Türkische das Deutsche verändern wird. Strukturelle Assimilation nennen Soziologen das. Die Sarrazin’sche These, wonach Deutschland sich abschaffe, wird nicht eintreten: Es wird ein neues Wir entstehen, dessen Konturen wir heute deutlich erkennen können.

Sie zweifeln daran? Bedenken Sie, dass Sie den Beitrag eines Türken in deutscher Sprache bis zum Schluss gelesen haben. Meine Worte haben Ihren Kopf erreicht, die Berührung hat schon stattgefunden.

Der Autor ist Leiter des Futureorg-Instituts, das zu gesellschaftspolitischen Themen berät und forscht. Außerdem ist er Kolumnist beim DTJ Online.

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