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Martin Rennert ist Präsident der Universität der Künste Berlin.

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Gastbeitrag: Wir diskutieren das falsche Tortenstück

Über die Zukunft der Urheberrechte läuft eine hitzige Debatte. Dabei sind sie nur ein kleiner Teil der geistigen Eigentumsrechte. Und mit den Verwandten des Urheberrechts werden quasi unbemerkt wichtige Weichen gestellt.

Weder den Betroffenen noch dem Thema insgesamt hilft es, wenn man „Urheberrechte“ nur in Bezug auf die Kulturwirtschaft betrachtet. Womit wir es zu tun haben ist ein weites Feld, und der genauere Blick schafft eine Perspektive, die am Ende zu anderen Fragen, vielleicht auch Lösungen führen wird.

Zunächst: Der gegenwärtigen, auf „User“ und „Kreative“ konzentrierten Diskussion entnehme ich eher einen Bildungsauftrag als eine Aufforderung zur Gegenwehr. Natürlich müssen Künstler, Musiker, Schriftsteller ihr Recht am geistigen Eigentum behalten und von ihrer Arbeit leben können – so, wie jeder sein Vermögen vererben darf. Dieses Recht musste man schon oft an neue Medien anpassen, doch alle wissen, dass Filme finanziert werden müssen und „heruntergeladene“ Musik nicht wirklich aus dem Orkus kommt. Es ist interessant, wie vehement Kunstschaffenden sinngemäß vorgehalten wird, sie mögen sich nicht so haben, während die Rechte der Urheber an anderer Stelle von genau denselben Leuten begeistert abgegolten werden: Die Rauschunterdrückungssysteme von Herrn Dolby sind ein wunderbares Beispiel, in der Softwarekiste gibt es tausend andere.

Auch sollten wir nicht beim Ablenkungsmanöver namens Verwerter-Bashing mitspielen. Mit Absicht wird verkannt, dass oft große Leistungen von Produzenten, Verlagen, Galerien etc. – die manchmal eben größer werden – für alle, auch für das Publikum, erbracht werden. Und die Gema: Deren Prozente und Gebaren mögen diskutabel sein, aber hier geht es nicht vor allem um die geknechteten Coolen und die ausbeuterischen Uncoolen. Die Ersteren leben nämlich sehr gut von den Zweiten, doch während sich keiner dagegen wehrt, die Lichtanlage mitbezahlen zu müssen, scheint das bei der Musik eine Zumutung. Nicht zum ersten Mal entdeckt man in den vermeintlich coolsten Ansichten ein scheuklappenbewehrtes Anspruchsdenken.

Dennoch ist dies alles viel zu kurz gegriffen. Denn nur der schmalste Teil eines Tortendiagramms heißt Künste. In einem größeren sind „Geschmacksmustergeschützte“ Entwürfe zu finden: Möbel, Schuhe, Design aller Art. Eine große Schnitte ist auch geschützten Verfahren gewidmet: Prozesse der Stahlerzeugung, Berechnungsmodelle, chemische Verfahren, Operationstechniken. Wer weiß denn etwa, dass es Physiotherapien gibt, die lizenziert sind, wer ahnt, dass bei Hinrichtungen Tantiemen fällig werden? Die Zahl geschützter Verfahren ist ebenso groß wie die Breite ihrer Themen.

Wer aber wirklich Hunger hat, sollte das Tortenstück „Patente“ wählen. Hier geht es um Erfindungen, um Dinge, die die Menschheit vorangebracht haben und dies auch in Zukunft tun werden. Hier geht es zunehmend um die großen Grenzfragen: Patente auf schädlingsresistentes Saatgut, das aber nur mit patentiertem, teurem Dünger reift, um Drittmittelforschung an Universitäten, um Patente auf überlebenswichtige Energieerzeugungsapparaturen oder Pumpen, Patente auf Arzneien. Wer erinnert sich noch an die Auseinandersetzung über Nachahmermedikamente zur Linderung der afrikanischen Aidsepidemie?

Ein eminent politisches Themenfeld, kompliziert, nur global und nicht aus beschränkter Perspektive zu bearbeiten. Da ist es weder visionär noch mutig, Gegner, deren Hauptmerkmale die Vereinzelung und eine differenzierte Interessenlage ist, auf die Hörner zu nehmen. Klar, es ist viel anstrengender, sich mit neuen, schwierigen Grenzziehungen zu beschäftigen, mit ethischen Fragen, wie sie sich durch verdienstvolle Forschung stellen, deren wirtschaftliche Basis geistige Eigentumsrechte sind.

Kazuo Ishiguros bedrückender Roman „Alles was wir geben mussten“, in dem es um eine Gegenwart geht, in der das Problem mangelnder Transplantate durch das Züchten rechtloser Klone gelöst ist, wäre für jene kein schlechter Einstieg in das Thema, denen Papiere der WHO oder FAO zu trocken sind.

Der Autor ist Präsident der Universität der Künste Berlin.

Martin Rennert

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