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Gastkommentar: Die Diktatur der Totalversicherten

SPD-Politiker predigen Umverteilung, weil sie nichts anderes kennen: Nachdem es mit der Diktatur des Proletariats nicht geklappt hat beziehungsweise das Experiment unvollendet abgebrochen werden musste, soll nun offenbar ein neuer Langzeitversuch gestartet werden: die Diktatur der Totalversicherten.

Falls Sie in der letzten Zeit die Stellungnahmen von Politikern wie Franz Müntefering, Andrea Nahles und Peer Steinbrück verfolgt haben, wird Ihnen wahrscheinlich aufgefallen sein, dass sie sich im Ton unterschieden, aber im Ergebnis dasselbe Ziel anvisierten: Die Reichen sollen zur Kasse gebeten werden, damit den Armen geholfen werden kann.

Dagegen gibt es in einer Solidargesellschaft im Prinzip nichts einzuwenden, vorausgesetzt, die Umverteilung funktioniert. Bis jetzt freilich sieht es eher danach aus, als ob das Geld, das den Reichen abgenommen wird, bei den Armen nicht ankäme. Wie sonst soll man sich erklären, dass es mit jeder Erhebung nicht weniger, sondern mehr Arme gibt, die auf Hilfe angewiesen sind. Hubertus Heil hat in einer Talkshow neulich erklärt, man brauche die „Reichensteuer“, damit Kinder aus sozial schwachen Familien ein Mittagessen in der Schule bekommen können. Das hörte sich an, als wären bis jetzt überhaupt keine Steuern erhoben worden, als gäbe es noch ein Schulgeld und als würden Millionen von Kindern mit knurrenden Mägen den Ethik-Unterricht besuchen müssen. Kurz zuvor war eine Studie bekannt geworden, wonach nicht Unter- sondern Überernährung die Gesundheit der Kinder bedroht. Aber als Appell an das Gewissen der Zuschauer war das Argument gut genug.

Kein Wunder, dass so viele Schüler den Schulabschluss nicht schaffen, wenn sie nicht einmal ein warmes Essen in der Schule bekommen. Die gute alte Klappstulle, die in der Pause ausgepackt wurde, gehört offenbar ebenso der Vergangenheit an wie Eltern, die ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen, statt diese Aufgabe dem Sozialarbeiter zu überlassen.

Überlassen wir die Kinder also der staatlichen Fürsorge und bleiben einen Moment bei Hubertus Heil, 1972 geboren, Abitur, Studium der Politikwissenschaft und Soziologie. Dann: „Mitarbeiter im Landtag Brandenburg, 1998 Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten. Mitglied der Arbeiterwohlfahrt. (…) 1988 Eintritt in die SPD, 2001 bis 2007 stellvertretender Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Peine und von 2001 bis 2007 des SPD-Bezirks Braunschweig; seit November 2005 Generalsekretär der SPD Deutschlands.“

Oder schauen wir uns Andrea Nahles’ aufregenden Lebenslauf an: 1970 geboren, Abitur und Studium an der Uni Bonn. Außerdem: „1989 Gründung des SPD- Ortsvereins Weiler, 1993 Landesvorsitzende der Jusos in Rheinland-Pfalz, 1995 bis 1999 Bundesvorsitzende der Jusos, seit 2000 Kreisvorsitzende der SPD Mayen- Koblenz, seit 1997 Mitglied im SPD-Parteivorstand, seit 2003 im Präsidium der SPD, seit Oktober 2007 stellvertretende Vorsitzende der SPD. Mitglied des Bundestages 1998 bis 2002 und seit 2005; seit November 2007 arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.“

Franz Müntefering hat noch wenigstens eine Lehre als Industriekaufmann gemacht und immerhin 18 Jahre als „Kaufmännischer Angestellter in der metallverarbeitenden Industrie“ gearbeitet, bevor er ganz in der Partei aufging.

Wir haben es, nicht nur in der SPD, immer öfter mit „geborenen Politikern“ zu tun, die das Wort „Risiko“, wenn überhaupt, nur aus dem klein gedruckten Teil ihrer Haftpflichtversicherung kennen. Die Erfahrung, die ein Arbeiter, ein niedergelassener Arzt oder ein Unternehmer – und sei er nur ein Kioskbesitzer in Neheim-Hüsten – macht, ist ihnen fremd. Hinter ihnen steht ein Apparat, der Treue mit Sicherheit belohnt. Damit werden sie nicht reich, aber sie sind der meisten Sorgen enthoben, mit denen jeder gewöhnliche Steuerzahler fertig werden muss. Und wenn es mit der Parteikarriere mal nicht klappt, so können sie sich mit einem Job in einer parteinahen Stiftung und Organisation trösten.

Die Totalversicherten haben es gut. Sie müssen nichts abgeben, sie sind aber auch nicht auf Almosen angewiesen. Sie sorgen nur dafür, dass die Umverteilung klappt. Und davon leben sie.

Der Autor ist Reporter beim „Spiegel“.

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