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Meinung: Gastkommentar: Die Vergangenheit schlägt zurück

Der 11. September hat eine neue Weltordnung heraufbeschworen.

Der 11. September hat eine neue Weltordnung heraufbeschworen. Diese Ansicht ist zwar weit verbreitet, aber falsch. Das fiel mir auf, als ich letzte Woche bei einer Konferenz im Hanseatischen Institut einer Rede des SPD-Bundestagsabgeordneten Volkmar Schultz zuhörte, der für deutsch-amerikanische Beziehungen zuständig ist. Schultz stimmte Gerhard Schröder zu, dass Deutschland weder seine diplomatischen noch seine militärischen Aufgaben verleugnen könne. In der Tat: Die deutsche Nachkriegszeit ist endlich zu Ende, und es wäre jetzt an den Politikern, der Bevölkerung die neuen Aufgaben deutlich zu machen.

Stattdessen wird immer klarer, dass das Gegenteil geschieht. Die Impulse und Methoden des Kalten Krieges bestimmen weiterhin in Deutschland und in den USA das politische Tagesgeschäft. An dem Ruf nach einer Bombenpause sieht man sehr gut, dass die alten Konstellationen weiter existieren: Friedensbewegte stehen Realpolitikern gegenüber, die die Freundschaft mit den USA beschwören. Das einzig Neue ist, dass ausgerechnet Schröder und Joschka Fischer auf der Seite der Realpolitiker stehen. Genauso wie nur Nixon nach China gehen konnte, kann ein gesunder deutscher Patriotismus nur von links kommen, nicht von rechts.

Keine Frage, Deutschland wird die Hemmungen der Vergangenheit über Bord werfen, aber eben nicht so schnell wie Schröder & Co. sich das wünschen. Es ist schon bezeichnend, dass Schultz die patriarchalische Sprache der Adenauer-Republik benutzt bei seiner Aufforderung, die Bevölkerung auf den neuen Kurs einzuschwören. Auch kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die neue Republik eine von Schröder gewollte ist. Sie ist wohl kaum ohne sein Zutun, quasi aus sich selbst heraus entstanden. Es hat sich also doch nicht alles verändert.

Das gleiche gilt für die USA. Der Kalte Krieg bleibt präsent. Die Bush-Regierung führte den Krieg bisher so, wie man es tut, um einem zweiten Vietnam zu entgehen - und wiederholt es gerade dadurch. Unser Außenministerium versuchte verzweifelt, in Afghanistan eine Opposition zum Taliban-Regime aufzubauen - und vernachlässigte darüber eine effiziente Bombardierungsstrategie. Das Militär hat ohnehin keine besondere Lust, in die Offensive zu gehen. Es fürchtet eine Niederlage wie in Vietnam.

Bis vor ein paar Tagen versuchten die Militärstrategen, die Taliban durch eine gemäßigte Bombardierung zu vernichten, und mussten lernen, dass die Taliban doch nicht so leicht zu erledigen sind. Jetzt sollen Spezialeinheiten das Problem lösen - bloß keine Bodentruppen, der Alptraum des Pentagons! Am Ende wird man doch auf die Methoden des Kalten Kriegs zurückgreifen müssen. Vergessen wird, dass zum Kalten Krieg auch dunkle Kämpfe mit Oppositionsführern, Spionage, Putsch und Verrat gehörten, sei es im Nahen Osten, in Afrika oder Lateinamerika. In den USA waren Bedenken gegen solche Aktionen nach den Enthüllungen der 70er Jahre aufgekommen. Jetzt überwindet man sie wieder langsam. Ist auch Deutschland bereit dazu? Konfrontiert mit einem mittelalterlichen Gegner kehren wir uns nicht ab von der Vergangenheit, sondern wenden uns ihr wieder zu.

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