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Gastkommentar: Gib dem Affen Finger!

Beim Eisbär Knut ging es um Leidenschaft, Geld und verschmähte Liebe, beim Schimpansen Pedro auch um Schmerz. Höchste Zeit, den politischen Tieren die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie dem Berliner Zoo.

Drei Jahre lang kämpften die Engländer im 18. Jahrhundert gegen Spanien: Die spanische Küstenwache hatte einem englischen Handelskapitän ein Ohr abgeschnitten. Der hatte es darauf in einem Einmachglas im britischen Parlament hochgehalten und so begann, was später als der „Krieg um Jenkins’ Ohr“ in die Geschichte einging. Nun haben wir einen ähnlich empfindlichen Fall. Der Berliner Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz hat seinen Finger in den Affenkäfig gehalten und der Schimpanse Pedro hat ihm ein Stück davon abgebissen.

Vielleicht hat Pedro zum Ende der Spargelsaison Blaszkiewitz mit Beelitz verwechselt. Oder – und man müsste sehr naiv sein, um diese Möglichkeit auszuschließen – der 28-jährige Pedro steht auf der Lohnliste des Zoos Neumünster. Die Verschwörungstheorie unter uns Zoo-Beobachtern lautet: Neumünster hat die Berliner Tiere mit Bananen und Erdnüssen bestochen, dass sie immer wieder ein Stück von Blaszkiewitz abbeißen, bis nicht mehr genug Zoodirektor übrig ist, um sich vor Knut zu stellen. Man kann das die Armin-Meiwes-Strategie nennen.

Der Kampf um Knut ist das faszinierendste Spektakel in Berlin. Im Gegensatz zur Europawahl geht es hier um Leidenschaft, Geld, verschmähte Liebe und, seit St. Bernhards Finger, um Schmerz. Die Ausgangslage ist bekannt. Neumünster argumentiert, Lars, Knuts Vater, sei unter der Maßgabe an Berlin verliehen worden, dass Neumünster das erstgeborene Jungtier, das dritte und dann das fünfte erhalten würde. Berlin sollte den Rest behalten. Da kein Weibchen, das noch alle Tassen im Schrank hat, Sex mit Lars, einem Psychopathen im Bärenkleid, haben will (Knuts Mutter war ein Ossi!), war das aus Sicht der Neumünsteraner ein guter Plan. Nun wollen sie Geld – oder Knut.

Aber es gäbe Knut natürlich gar nicht, wenn Blaszkiewitz (damals noch mit zehn Fingern) nicht entschieden hätte, dessen Leben zu retten und Thomas Dörflein zu Knuts Adoptivvater zu machen. Vor allem wäre Knut kein internationaler Geldautomat geworden, wenn die Boulevardpresse Berlins ihn nicht zum Helden gemacht hätte. Verletzbar, von der Mutter verlassen, ständig hungrig und hoffnungslos abhängig vom Applaus wurde er zur vierbeinigen Version eines Boulevardreporters.

Kein Wunder, dass die „BZ“ sich Knuts annahm. Wäre Knut in Neumünster geboren, das kann man sich leicht vorstellen, hätte er es vielleicht auf Seite 14 des Lokalblättchens geschafft – zwischen der Anzeige der Goldenen Hochzeit von Herrn und Frau Klopstock und einer Werbung für doppelverglaste Fenster. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Neumünster in Knut-City umzubenennen.

Und darum geht es: Die Berliner Boulevardpresse hat eine Transformationsmacht, die es in keiner anderen deutschen Stadt so gibt. Einige denken, dass die „BZ“ Geschichten aufpumpt, aber das hieße, die Zeitung misszuverstehen. Wenn sie zwei Tage hintereinander den Finger von Blaszkiewitz auf die erste Seite nimmt, bleibt sie ihrer Tradition treu, aus der Stadt ein Spektakel zu machen. 1906, als der Mörder Rudolf Hennig die Polizei wochenlang an der Nase herumführte, lieferte die „BZ am Mittag“ einen minutengenauen Bericht der Jagd. Die Zeitung war brillant, wenn es um Zugunglücke, Selbstmorde und Überfalle am helllichten Tag ging. Eine Stadt, die sich so sehr um die harte Macht dreht wie Berlin, braucht Sensationen und braucht das Theatralische.

Der Boulevard verstand schnell, dass der Zoo ein zentraler Teil des Stadtlebens ist, mit Geschichten von zeugungsunfähigen Pandas und depressiven Flusspferden. Was wir jetzt brauchen, ist, dass sich der Boulevard den politischen Tieren zuwendet. Die Wahlergebnisse zeigen, dass Politiker so gut wie unsichtbar geworden sind. Berlusconi hat seine Mädchen, Brown seinen Spesenskandal, aber der deutsche Politiker hat beschlossen, sich zu verstecken, bis auf die paar Mal, wenn er sich für eine Talkshow raustraut. Er ähnelt so den Gnus, die den ganzen Tag schlafen und sich Besuchern nur zur Fressenszeit zeigen.

„Bild“ ist in Berlin, die „BZ“ sowieso: Warum graben sie keine Skandale und Sensationen über unsere Politiker aus? Wo sind die Mätressen, wo die Indiskretionen? Der Boulevard lässt Blaszkiewitz und den Zoo nicht unserer Aufmerksamkeit entwischen. Jetzt sollte er dasselbe mit dem Bundestag tun. Wenn nötig, könnt er ein paar Politiker in den Affenkäfig stecken. Sie würden vielleicht ihren Vorzeigefinger verlieren. Und wir unsere Politikverdrossenheit.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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