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Gastkommentar: Guantanamo-Häftlinge gehören nach Berlin

Guantanamo wird in die Geschichtsbücher eingehen als Synonym für den größten menschenrechtlichen Sündenfall der gesamten westlichen Welt. Die sofortige Aufnahme unverdächtiger Folteropfer ist für uns Europäer auch ein Gebot rechtsstaatlicher Wiedergutmachung.

Soll Deutschland einige der etwa 50 Guantanamo-Häftlinge aufnehmen, die selbst das US-Verteidigungsministerium als unschuldig einstuft und die deshalb auch nicht angeklagt werden können? Die Stammtische meinen: nein. Soll doch Amerika die Probleme, die es sich eingebrockt hat, alleine lösen. Außerdem mögen wir diese Leute nicht; sicherlich sympathisieren sie mit Al Qaida.

Denkt man jedoch weiter, sind wir gefordert: Guantanamo wird in die Geschichtsbücher eingehen als Synonym für den größten menschenrechtlichen Sündenfall der gesamten westlichen Welt. Zum einen wurde hier das Kern-Grundrecht verletzt, auf das der angelsächsische Rechtskreis seit der „Habeas-Corpus-Akte“ von 1679 besonders stolz ist: der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung. Jahrelang wurden an diesem Ort des Grauens Menschen ohne richterliche Überprüfung und ohne Verteidigung in Isolation gehalten, vielfach nur, weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen waren. Darüber hinaus gehörte die bislang nur von unappetitlichen Diktaturen praktizierte Folter zum Lager-Alltag.

Für diese Exzesse tragen die Europäer Mitverantwortung, indem sie CIA-Transporte über ihrem Territorium toleriert, Häftlinge vor Ort verhört, in Einzelfällen durch Verweigerung der Aufnahme zur Haftverlängerung beigetragen und sich ansonsten mit Kritik vornehm zurückgehalten haben. War man nicht klammheimlich dankbar, dass die USA für uns die Drecksarbeit übernommen hatten? Wurde nicht in „seriösen“ Debatten offen für „Terrorverdächtige“ die Ausschaltung menschenrechtlicher Garantien gefordert? Und musste sich nicht sogar das Bundesverfassungsgericht von einem Bonner Juristen regelrecht verhöhnen lassen, weil es seine „rechtsstaatlichen Hände in menschenwürdegetränkter Unschuld“ wasche? Die moralische Autorität des ganzen Westens hat dadurch unermesslichen Schaden erfahren; jegliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen wird heutzutage von den Folterknechten dieser Welt süffisant mit Hinweis auf Guantanamo zurückgewiesen. Von daher ist die sofortige Aufnahme unverdächtiger Folteropfer auch ein Gebot rechtsstaatlicher Wiedergutmachung, um zumindest ansatzweise die verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Einige europäische Nachbarländer haben uns dies bereits vorgemacht.

Gerade dieser Tage wird deutlich, wie der vom unsäglichen Präsidenten George W. Bush hinterlassene Apparat beginnt, Barack Obama mit aller Kraft an der Erfüllung seiner Versprechen zu hindern. „Studien“ tauchen auf, in denen die Menschenrechtsverbrechen weichgeredet und Gründe gesucht werden, um letztlich alles beim Alten zu lassen. Als erste deutsche Stadt hat nun München ein Zeichen gesetzt und sich zur Aufnahme einiger Häftlinge bereit erklärt, doch der bayerische Innenminister lehnt dies noch ab.

Und wo bleibt Berlin? Mehr als jede andere deutsche Stadt haben wir Grund, den Amerikanern dankbar zu sein; man denke nur an die Luftbrücke, vom Marshallplan und der deutschen Einheit ganz zu schweigen. Und sind Freunde nicht dazu da, sich gerade in Zeiten der Not zu helfen? Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat dies offensichtlich erkannt, seine Genossen an der Spree sollten ihm solidarisch den Rücken stärken.

Nicht zuletzt geht es um die Betroffenen selbst: Nach jahrelanger Folterhaft sind sie schwersttraumatisiert; und wenn man sie in die USA entließe, bestünde die akute Gefahr ständiger Retraumatisierungen durch sogenannte Flashbacks. Amerika ist für diese Menschen Verfolgerstaat, und da ist es die Aufgabe anderer Länder, ihnen Asyl zu gewähren, um die Wunden heilen zu lassen. Berlin verfügt über bewährte Behandlungszentren für Folteropfer.

Innensenator Ehrhart Körting darf sich nicht hinter anderen verstecken. Das Gesetz erlaubt ihm, einige der Häftlinge aufzunehmen. Das sollte er tun; das Asylrecht gilt nicht für sympathische, sondern für verfolgte Menschen.

Der Autor ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin.

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