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Meinung: Gastkommentar: Hitlers Gefangene

In Deutschland wäre dieser Streit undenkbar, seit Jahren schon. Nicht unter amerikanischen Juden.

In Deutschland wäre dieser Streit undenkbar, seit Jahren schon. Nicht unter amerikanischen Juden. Es geht um den Holocaust. Und um ein Abendessen am Dienstag in New York für Thomas Middelhoff, den Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann. Gastgeber ist der "United Jewish Appeal", Elie Wiesel soll die Laudatio halten. Middelhoff hat ein Holocaust-Erinnerungs-Projekt angestoßen: Bertelsmann soll sich mit seiner Firmen-Vergangenheit als Lieferant von Propaganda für die Wehrmacht auseinander setzen.

Trotz dieses selbstkritischen Ansatzes brach in Amerika ein Sturm der Entrüstung los. Am Dienstag werden Proteste erwartet. Und in Deutschland? Da ist der Streit kein Thema. Amerikanische Juden haben im Gegensatz zu den deutschen Juden ein neurotisches Verhältnis zu Deutschland und der Nazi-Vergangenheit. 55 Jahre nach Kriegsende ist es in Deutschland nichts Außergewöhnliches mehr, dass eine jüdische Organisation einen Nicht-Juden mit einem Preis auszeichnet. Gerade auch Deutsche wurden für ihre Bemühungen um Aussöhnung und historische Wahrheit geehrt.

Anders in den USA. Bezeichnenderweise kommen viele Proteste aus der jüngeren Generation. Der "New York Times" sagte Melvin Jules Bukiet, der eine Sammlung von Texten von Kindern der Holocaust-Überlebenden herausgebracht hat: "Versucht es in 5000 Jahren noch mal, vielleicht bin ich dann bereit, darüber zu reden. Die Preisverleiher sollten sich schämen." Viele in der zweiten Generation, so Bukiet, ziehen die offene Wunde der Heilung vor.

Das ist furchtbar. Niemand kann wollen, dass man den Holocaust vergisst. Aber das heißt nicht, Deutschland und die Deutschen heute so zu behandeln, als setzten sie den Holocaust fort. Es ist ein Problem der Jüngeren: der Grad der Identifikation mit dem Holocaust, ohne selber zur Erlebnisgeneration zu gehören. Es ist aber auch generell ein sehr amerikanisches Problem. In den USA wollen alle irgendwie Opfer sein. Junge amerikanische Juden sind jedoch keine Opfer. Sie sind in einem freien, demokratischen Land aufgewachsen - nicht anders als junge (West-)Deutsche. Ein amerikanischer Jude hat das Recht, keine deutschen Autos zu kaufen. Das hat aber nichts mit den Problemen zu tun, die Daimler-Benz jetzt mit Chrysler erlebt.

Wenn jedoch ein Kollektivschuldvorwurf gegen Deutsche wie Middelhoff erhoben wird, der 1953 geboren wurde, dann muss das beunruhigen. Sollen die Deutschen etwa als genetisch fehlveranlagt gelten, als unverbesserlich? Nein, der Fehler ist, dass einige junge amerikanische Juden in der Welt von 1945 leben, Hass auf Deutschland kultivieren und keine Bereitschaft zeigen, zu erkennen, dass Deutschland sich geändert hat. So machen sie sich zu Gefangenen Hitlers. Elie Wiesel hat in der "New York Times" seine Antwort gegeben: "Der Hass ist nie eine Antwort. Er dient nicht der Erinnerung."

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