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Gastkommentar: Hoffnung für Haiti

Nach dem verheerenden Erdbeben braucht Haiti einen Neuaufbau – keinen Wiederaufbau, schreibt der UN-Generalsekretär in seinem Beitrag für den Tagesspiegel.

Vom Golfclub Pétionville aus überblickt man Port au Prince und das Meer. Der gut gepflegte Rasen des Platzes bietet seit dem Erdbeben fast 50 000 Menschen ein Zuhause. Über 1,2 Millionen Haitianer sind seit dem Erdbeben obdachlos und wurden von den Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen notdürftig in Zelten untergebracht. Als ich vergangene Woche Haiti besuchte, schien die Sonne. Das Leben ging weiter, so schien es: Kinder spielten auf der Straße, Mütter wuschen Kleider. Doch wenn die Regenzeit kommt, wird sich der Erdboden in einen gefährlichen Matsch verwandeln, der viele Krankheiten mit sich bringt.

Auf der Geberkonferenz in New York kommen am Mittwoch die Staats- und Regierungschefs der Welt zusammen, um gemeinsam ihrer Solidarität mit Haiti und seiner Regierung Ausdruck zu verleihen. Der haitianische Präsident Rene Préval spricht von einem „historischen Treffen“. Eine Übereinkunft der Staaten würde zu einem „Neuen Haiti“ führen.

Das ist die große Herausforderung für New York – kein Wiederaufbau, aber ein Neuaufbau. Als Teil dieses Aktionsplans wird eine Übergangskommission für den Wiederaufbau Haitis in den nächsten 18 Monaten über vier Milliarden US-Dollar für unterschiedliche Projekte und Programme ausgeben. Der komplette Wiederaufbau Haitis in den kommenden zehn Jahren wird schätzungsweise 11,5 Milliarden US-Dollar kosten. Die Wiederaufbauhilfe muss sinnvoll eingesetzt und gut koordiniert werden. Sie muss weiterhin Nahrungsmittel, Sanitäreinrichtungen und die derzeitig dringend benötigten Zelte und Unterkünfte bereitstellen. Da wir uns von der Katastrophenhilfe zu einem längerfristigen Wiederaufbau bewegen, müssen wir begreifen, dass wir nicht zur normalen Tagesordnung übergehen können. Was wir uns heute vorstellen ist eine umfassende nationale Erneuerung, von Kopf bis Fuß – eine durchgreifende und ehrgeizige Aufgabe der Staatenbildung.

In Partnerschaft mit der Internationalen Gemeinschaft verpflichten sich die haitianischen Führer zu einem neuen Gesellschaftsvertrag mit ihrem Volk. Das bedeutet eine volldemokratische Regierung, die auf übereinstimmender Sozial- und Wirtschaftspolitik beruht, welche sich der extremen Armut und der tief verwurzelten Wohlstandsunterschiede annimmt. Das heißt auch freie und faire Wahlen, die mithilfe der UN möglichst bis Ende dieses Jahres durchgeführt werden sollen.

Dieser Gesellschaftsvertrag muss Frauen ermächtigen – als Haushaltsvorstände, die ihre Familien versorgen, als Unternehmerinnen, als Anwältinnen für die Schwachen, als vollwertige Entscheidungsträgerinnen in entstehenden demokratischen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Er muss neue Möglichkeiten zum wirtschaftlichen Fortschreiten eröffnen – vor allem Arbeitsplätze. Das „Cash for Work“- Programm der UN soll ein Modell sein.

Die haitianischen Führer sind sich dessen wohl bewusst, dass die neue Partnerschaft eine Bereitschaft zu verantwortungsbewusster Regierungsführung, Transparenz und gegenseitiger Verantwortung erfordert. Zwischen der Regierung und den Regierten, zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor, zwischen Haiti und der internationalen Gemeinschaft. Es erfordert neue Ansätze zu langwierigen Problemen, wie zum Beispiel: die Zukunft von Haitis überfüllter Hauptstadt. Wenn Haiti gedeihen soll, dann müssen die soziale Infrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung von Port au Prince auf die Regionen und Städte im Land vorsichtig verteilt werden.

Die Arbeit für eine verheißungsvolle Zukunft beginnt heute an Orten wie dem Pétionville-Lager damit, dass man unverzüglich zehntausende Menschen in Sicherheit bringt. Am Ende müssen wir etwas sehr viel weniger Greifbares, aber unendlich Nachhaltigeres anbieten: Hoffnung. Für Haiti beginnt die Hoffnung diesen Mittwoch in New York.

Der Autor ist Generalsekretär der Vereinten Nationen.

Ban Ki-Moon

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