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Gastkommentar: Ist die FDP noch zu retten?

Die FDP steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Den Liberalen fehlt führungsstarkes Personal und sie finden ihre Rolle in der schwarz-gelben Regierung nicht. Diese Woche wird es für Rösler und Co. richtig ernst.

Es war relativ still um die FDP in der vergangenen Woche. Und das lag nicht daran, dass der Papst in Deutschland zu Besuch war und im Lande Luthers die Botschaft der Nächstenliebe verbreitet hat. Vielmehr sitzt der Schock bei den Liberalen tief nach dem dramatischen Desaster bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin vor acht Tagen. Das Ausmaß der Niederlage hat offenbar alle liberalen Besserwisser verstummen lassen. Weder waren anschließend einfache Schuldzuweisungen zu hören, noch eilig formulierte Rücktrittsforderungen. Selbst die Kritiker des Eurorettungsschirms, die in der Woche zuvor noch lautstark eine Mitgliederbefragung gefordert hatten, sind offenbar nachdenklich geworden.

Stattdessen hat nach Berlin wohl auch der letzte FDP-Politiker verstanden: Es geht für seine Partei längst um mehr, als um die Frage, ob Philipp Rösler der richtige Parteivorsitzende ist. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, dass sich der liberale Außenminister und Ex-Parteichef Guido Westerwelle ganz aus der Politik zurückzieht? Selbst die Frage, ob es der FDP gelingt, noch in dieser Legislaturperiode in der Bundesregierung eine Steuersenkung durchzusetzen und damit ihr zentrales Versprechen des letzten Bundestagswahlkampfes, ist längst zweitrangig geworden.

Stattdessen starrt die ganze Partei darauf, wie sich die Bundesregierung in dieser Woche schlägt. Denn wenn der Bundestag am kommenden Donnerstag über den Euro-Rettungsschirm abstimmt, dann entscheiden die Abgeordneten der Regierungsparteien nicht nur über die Zukunft Griechenlands, sondern über das Schicksal der schwarz-gelben Koalition. Für die FDP stellt sich zugleich die Existenzfrage, die Liberalen blicken in den politischen Abgrund.

Die Wähler haben kein Vertrauen mehr in die FDP. Der personelle Neuanfang, den die Liberalen im Frühjahr eher halbherzig vollzogen haben, hat nicht die erwünschten Resultate gebracht. Am vergangenen Sonntag ist die Partei stattdessen in Berlin vom Wähler mit einem Stimmenanteil von nur noch 1,8 Prozent faktisch pulverisiert worden. Der Versuch, im Wahlkampfendspurt mit plumpen antieuropäischen Ressentiments und populistischer Europa-Kritik zu punkten, hat die Glaubwürdigkeit der Liberalen zusätzlich und nachhaltig beschädigt.

Zwar ist Berlin kein liberales Stammland, die FDP hatte es hier schon immer schwer. Bereits zum fünften Mal seit 1949 hat die Partei den Einzug in das Abgeordnetenhaus verfehlt.  1995 und 1999 kam sie auch nur auf 2,5 beziehungsweise 2,2 Prozent. Vor allem in Ostberlin haben es die Liberalen traditionell schwer .Aber trotzdem hat niemand in der FDP mit einem Sturz auf das Stimmenniveau von NPD oder Tierschutzpartei gerechnet.

Zum Abschluss des Superwahljahres versetzte Berlin den Liberalen damit einen letzten dramatischen Tiefschlag. Schon zuvor war die FDP 2011 aus den Landtagen von Rheinland-Pfalz, Bremen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern geflogen. In ihrem Stammland Baden-Württemberg gelang der Partei mit 5,3 Prozent nur denkbar knapp, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Für die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition im Stuttgarter Landtag reichte dies nicht. Der Trend ist eindeutig. Und es gibt wenig Hoffnung, dass sich dieser bei der einzigen Landtagswahl des kommenden Jahres in Schleswig-Holstein umkehren könnte. Auch dort steht Schwarz-Gelb vor der Abwahl und die FDP vor dem landespolitischen Aus.

Lesen Sie auf Seite 2, warum der Weg zurück zu den Erfolgsrezepten der Vergangenheit der FDP weitgehend versperrt ist

Natürlich ist es richtig, die FDP hat schon viele Krisen und manche dramatische Abstürze in der Wählergunst erlebt. Die Partei kämpft nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte ums Überleben. Nach der Wende von 1982 zum Beispiel wandten sich viel enttäuschte sozialliberale Wähler von der FDP ab. Nur mit Hilfe einer massiven Zweitstimmenkampagne der Union konnte die Partei überleben. Auch in der Endphase der Kohl-Ära Mitte der 1990er Jahre war die FDP reihenweise aus Landtagen geflogen. Auch damals läuteten viele Kommentatoren bereits die liberalen Totenglocken. Doch der FDP gelang es, sich als wirtschaftsliberale Partei politisch neu zu erfinden, sich personell neu aufzustellen und neue Wähler zu mobilisieren.

Kein Wunder also, dass auch in der aktuellen Krise viele Kommentatoren der FDP empfehlen, sich auf ihre alten Stärken zu besinnen. Sie soll auf traditionelle liberale Inhalte besinnen, auf einen populären Außenminister setzen sowie ihre Rolle als Funktionspartei im politischen System betonen.

Doch die alten Rezepte helfen der FDP in ihrer aktuellen Krise kaum weiter.

Denn erstens ist die FDP im Superwahljahr auch deshalb abgestürzt, weil sie im Vielparteiensystem als Mehrheitsbeschaffer im bürgerlichen Lager immer häufiger ausfällt. Die Zeiten, in denen die FDP darüber entschied, wer das Land im Bund oder den Ländern regiert, sind lange vorbei. Die Union weiß dies, sie rechnet nicht mehr ernsthaft mit einem schwarz-gelben Wahlsieg 2013 und macht deshalb den Grünen derzeit unübersehbar Avancen. Sie wird deshalb im Zweifelsfall auch nicht mehr bereit sein, am Wahltag mit Leihstimmen das Überleben der FDP zu sichern.

Zweitens verschafft der Posten des Außenministers einer Partei längst nicht mehr so viel Glanz wie früher. Schließlich nimmt in der Außenpolitik mit dem wachsenden internationalen Einfluss Deutschlands auch die Zahl der unpopulären Entscheidungen zu. Wichtige außenpolitische Fragen sowie vor allem die Europapolitik werden zudem nicht mehr im Außenamt, sondern längst im Kanzleramt oder auf zähen internationalen Verhandlungen entschieden.

Drittens muss die FDP bei Bürgerrechtsthemen nicht nur mit den Grünen, sondern neuerdings auch mit der Piratenpartei konkurrieren.Vor allem die Frage der digitalen Bürgerrechte jedoch lässt sich längst nicht mehr auf Themen wie die Vorratsdatenspeicherung oder Datenschutz im traditionellen Sinne reduzieren.

Viertens ist der Wirtschaftsliberalismus in der Finanz-, Wirtschafts-, und Eurokrise der letzten Jahre in seinen Grundfesten erschüttert wurden. Die Ratlosigkeit ist überall zu spüren. Und es war ja am Ende nicht böse Absicht, dass die FDP ihren Wirtschaftsliberalismus zuletzt auf die Forderungen nach Steuersenkungen und auf Klientelpolitik reduzierte. Dies war vielmehr ein Symptom der Ratlosigkeit, die alle Apologeten des freien Marktes in der Politik, den Medien und der Wissenschaft weit über das FDP-Präsidium hinaus erfasst hat.

Der Weg zurück zu den Erfolgsrezepten der Vergangenheit ist der FDP also weitgehend versperrt. Der alte Markenkern der Partei ist nachhaltig beschädigt und lässt sich nicht so einfach wieder herstellen.

Die Frage, ob die FDP noch zu retten ist, lässt sich also gar nicht so einfach beantworten. Und so hat die Partei derzeit nur eine einzige Chance. Sie muss in den kommenden 24 Monaten an der Seite der Union artig regieren und zumindest ein paar bürgerliche Wähler milde stimmen. Bei der Bundestagswahl 2013 muss sich die Partei dann darauf konzentrieren, das Schlimmste, also den Sturz unter die Fünf-Prozent-Hürde im Bund, zu verhindern. Anschließend hätte die Partei dann vier Jahre Zeit, sich in der Opposition für eine ungewisse Zukunft neu aufzustellen. Und zum Beispiel die Frage zu beantworten, was Liberalismus im 21 Jahrhundert tatsächlich bedeutet und wie die Partei als Koalitionspartner jenseits der Union wieder attraktiv wird.

Ob sie diese Chance allerdings erhält, könnte sich schon in dieser Woche bei der Abstimmung über den Eurorettungsschirm entscheiden. Kann die Regierung dann keine eigene Mehrheit aufbieten, wäre die Koalition allen derzeitigen Beteuerungen zum Trotz wohl am Ende. Die bürgerlichen Wähler würden die FDP für das Scheitern ihrer Bundesregierung verantwortlich machen und dafür abstrafen. Vorzeitige Neuwahlen jedoch wären das Schlimmste, was der FDP nach den Tiefschlägen im Superwahljahr passieren könnte.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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