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Gastkommentar: Jauch als Bildungsminister und Schumi als Verkehrsminister

Das Leben ahmt die Fiktion nach: Mafiosi wollen wie der "Pate" sein, Finanzanalysten wie Michael Douglas in "Wall Street". Nur: Politiker täten gut daran, diesen Trend nicht mitzumachen.

Wahrscheinlich ist meine englische Erziehung daran schuld, aber ich halte die Super-Nanny Katharina Saalfrank für äußerst sexy. Es ist die Mischung aus Disziplin, Willensstärke und schwarzem Kleid! Ich sollte mal meinen Freund Max Mosley dazu befragen. Deshalb hielt ich es natürlich für eine brillante Idee von der SPD, sie in den Wahlkampf einzubauen. Die Botschaft an die Deutschen: Unsere Kinder können mehr. Taktisch ist es der Versuch, Ursula von der Leyen zu neutralisieren. SuperNanny gegen Super-Mutti.

Das Problem ist, dass es für eine solche Wahlkampfstrategie keine natürliche Grenze gibt. Wenn man Wähler nur noch mit Fernsehpersönlichkeiten hinter dem Ofen hervorlocken kann, warum dann nicht der große Schritt: Günther Jauch als Minister für Bildung und Sport, Dieter Bohlen als Kanzleramtsminister, Michael Schumacher ins Verkehrsministerium und Kommissar Rex als Innenminister (einmal Bellen: härtere Einwanderungstests; zweimal Bellen: schnellere Ausweisung)?

Die politische Klasse ist ausgelaugt. Früher versuchte sie zu neuer Kraft zu kommen, indem sie Manager anwarb (Schröder wollte Jost Stollmann zum Wirtschaftsminister machen. Nach dem Wahlsieg war davon schnell nicht mehr die Rede). Heutzutage vermeiden es Politiker unter allen Umständen, mit Managern fotografiert zu werden – beide Gruppen sind durch die Finanzkrise kompromittiert. Verständlicherweise wenden sie sich für eine personelle Frischzellenkur ans Fernsehen. Andere Berufe haben schon lange bemerkt, dass das Fernsehen Erwartungen schürt. Jedes Dorf im Land fordert inzwischen den Hausbesuch des Arztes – weil es die „Landärztin“ Christine Neubauer so vormacht. Und Polizisten ärgern sich über die Menschen, die erwarten, dass Verbrechen wie im „Tatort“ in 1,5 Stunden gelöst werden.

Das Verwechseln von realer Welt (in der es um schwierige Entscheidungen geht, bei begrenzter Zeit und Finanzkraft) und virtueller Welt von Kino und Fernsehen ist kein deutsches Phänomen. Ein Buch über die Mafia von Roberto Saviano beschreibt, dass echte Mafiosi ihren Kleidungsstil und sogar ihre Sprache der Darstellung im „Paten“ angepasst haben. Als ich den talentierten Börsenanalysten Dirk Müller traf, erzählte er mir, dass er in der Schule eine Null in Mathe war, sich aber von Michael Douglas im Film „Wall Street“ inspirieren ließ, in der Finanzwelt Karriere zu machen.

Das Leben ahmt die Kunst nach, aber gerade Politiker sollten aufpassen, sich dabei nicht lächerlich zu machen. David Cameron, der Führer der britischen Konservativen und vermutlich nächster Premierminister, plant bereits, einige Häuser in der Downing Street zu verbinden. Sein Ziel: eine Art West Wing des Weißen Hauses. Nicht eine Kopie des echten Weißen Hauses, aber ein Nachbau der Fernsehserie „West Wing“, in der hochintelligente Berater Korridore entlanglaufen und dabei die Rettung der Welt besprechen. Der britische Oppositionsführer hofft, dass so ein wenig amerikanisches Flair auf ihn herabfällt. Tony Blair hatte dieselbe Idee: Sein Stabschef lud den Stabschef aus „West Wing“ zum Arbeitsgespräch ein. Und der Schauspieler, der in „West Wing“ einen Wahlkampfberater spielt, wurde von einem konservativen Thinktank nach London geflogen, um darüber zu reden, wie man Wahlen gewinnt.

Diese Leute sind Schauspieler: Sie machen, was im Drehbuch steht. Das alles ist, als ob die Deutsche Fleischerinnung Thomas Kretschmann einladen würde, eine Rede über Fleischverarbeitung zu halten – auf der Grundlage seiner Darstellung des Kannibalen von Rotenburg. Dazu ist es noch nicht gekommen, kann ich zu meiner Erleichterung berichten, aber Deutschland scheint, wie die Amerikaner und Engländer, die virtuelle Welt langsam zu wichtig zu nehmen. Ich mag Katharina Saalfrank, vor allem, wie sie aufmüpfige Kinder auf die „Stille Treppe“ schickt – der perfekte Ort für Oskar L. –, aber die SPD sollte sie nicht im Wahlkampf einsetzen. Deutsche Politiker müssten sich nicht Glaubwürdigkeit leihen, wenn sie eine Sprache fänden, die ihre Zuhörer in den Bann schlägt, und einePolitik anböten, die aufregender ist als „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Das sollte nicht schwer sein. Amerikaner haben Schauspieler zum Präsidenten (R. Reagan) und zum Gouverneur (A. Schwarzenegger) gewählt. Aber das Beste, was die Deutschen dem bisher entgegenzusetzen hatten, war der peinliche Peter Sodann (Kommissar Ehrlicher), und das unterstreicht, was ich sagen will: Deutsche Schauspieler sollten sich darauf konzentrieren, Oscars oder wenigstens hohe Quoten zu gewinnen; Politiker sollten anfangen, unser Vertrauen zurückzugewinnen.

Übersetzt aus dem Englischen von Moritz Schuller.

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