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© dpa

Gastkommentar: Noch zehn oder zwanzig Jahre in Afghanistan

Der Afghanistaneinsatz darf nicht zu früh abgebrochen werden. Deutschland will international eine zunehmend wichtige Rolle spielen, zugleich aber nicht wahrhaben, dass dies nicht allein mit Geld, Elektroautos und Windrädern geht. Die alte Technologie, nämlich der Krieg um des Friedens willen, ist es, was Deutschland in Afghanistan leisten muss.

Kurz nach dem Einmarsch der Sowjets verließ ich Ende 1980 Afghanistan. Erst 22 Jahre später war es mir dank der Befreiung durch die Amerikaner möglich, das Land meiner Väter und meine Geburtsstadt Kabul wiederzusehen. Es war eine kurze, aber heftige Visite. Zerstörung überall und Rohheit in vielen Gesichtern meiner früheren Landsleute. Im zerschossenen, doch darum um nichts weniger geschichtsträchtigen Präsidentenpalast in Kabul traf den frisch bestimmten Präsidenten Hamid Karsai. Es war ein sonnenklarer Freitag im März 2002, wir sprachen über Stunden in meiner Heimatsprache Dari miteinander, die der Paschtune Karsai akzentfrei beherrscht.

Wir redeten über die verlorene Jugend, die Vertreibung, vor allem aber über die Zukunft die Rolle der Alliierten. Als ich ihm Glück und Gottes Segen für seine Arbeit und unser beider Heimat wünschte, gab er eine einprägende Antwort: Erfolg werde sich frühestens „in 20, vielleicht in 30 Jahren“ einstellen, „aber nur wenn auch die Amerikaner solange mitmachen“.

Egal was Karsai heute redet von afghanischer Sicherheitsverantwortung ab 2014, um den Allierten zu gefallen. Er wusste und er weiß wie jeder Kenner der Region und der Kriegsmaterie: Afghanistan hat ohne den weit darüber hinaus andauernden Einsatz und Verbleib westlicher Militärs keine Zukunft und keine Aussicht auf Frieden und Freiheit. Der Beschluss der Bundesregierung, deutsche Soldaten aus Afghanistan ab 2011 allmählich abzuziehen, ist fatal für Afghanistan und für das Ansehen Deutschlands. Zugesagtes Geld, also eine neue Form der Scheckbuch- und Spendendiplomatie, wird das Militär nicht ersetzen können. Diese „neue Strategie“ ist keine. Es ist bestenfalls Taktik, die ist rein innenpolitisch motiviert ist und – man entschuldige meine Deutlichkeit – durch und durch naiv. Sie wird, wenn es denn so kommen sollte, in Afghanistan die religiösen Fanatiker und deren Handlanger massiv stärken und den Terroristen gefallen.

Weder Bundeskanzlerin Merkel noch Außenminister Westerwelle kennen Afghanistan wirklich. Sie haben Eindrücke vom milden Karsai, aber kaum von der eigensinnigen, stolzen und wilden Mentalität der Afghanen. Ariana, wie das Land einst hieß, ist ein viel geprügeltes Waisenkind, das eines viel nötiger braucht als Geld: ausdauernd Obhut des westlichen Militärs und des Westens. Die Vorstellung, dass möglichst ab 2014 in Afghanistan eine selbsttragende Sicherheitsstruktur etabliert werden kann, mag dem Bundeskabinett und in Berlin-Mitte politisch höchst attraktiv erscheinen. Aber sollte die deutsche Führung allen Ernstes daran glauben, würde sie die afghanischen Möglichkeiten massiv überschätzen.

Wie soll ein Land „liefern“, wie es Verteidigungsminister Guttenberg salopp fordert, wenn es schlicht nichts zu liefern hat? Ein Vierteljahrhundert lang hat dieses Land nichts anderes erlebt als Krieg, Barbarei, Tyrannei und blankes Morden. 25 Jahre lang fehlte ziviles Leben und Humanismus herrschte bestenfalls hinter wenigen Lehmmauern: keine Schulen, keine Universität, kaum Bildung, keine Musik, keine Form von Bürgertum. Millionen von Menschen wurden ermordet, vertrieben, heimatlos. Hunderttausende von Frauen wurden vergewaltigt und hunderttausende Kinder missbraucht. Dieses Land hat mittlerweile eine schwarze Generation, die durch 25 Jahre Vernichtung und Vertreibung entseelt und versteinert ist. Und nun soll das Land „liefern“ und für seine eigene Sicherheit Verantwortung übernehmen? Wie soll das gehen?

Deutschland will international eine zunehmend wichtige Rolle spielen, zugleich aber nicht wahrhaben, dass dies nicht allein mit Geld, Elektroautos und Windrädern geht. Die alte Technologie, nämlich der Krieg um des Friedens willen, ist es, was Deutschland in Afghanistan leisten muss. Doch eine Politik nach dem Motto, „Wasch mir den Pelz, aber mach ihn nicht nass“, erscheint nur den Politikern im Berliner Regierungsviertel sinnvoll, nicht den Geschundenen, die in Afghanistan konkrete sowie dauerhafte Hilfe benötigen. Es ist schon eigenartig, dass hierzulande muslimische Kopftuchträgerinnen als Fanatikerinnen und Fundamentalistinnen bezeichnet werden, zugleich aber die Herren Westerwelle und Guttenberg „gemäßigten Taliban“ die Hand reichen und mit ihnen verhandeln wollen.

Worüber denn eigentlich? Jenseits der Debatte und der Sonntagsfrage hierzulande: Man muss den etwas derben SPD-Politiker Struck nicht mögen, und sein Satz, dass unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt werde, klingt nach einer Plattitüde, aber es ist historisch und militärisch gesehen ein bedeutender Satz. Er benennt, das allerwichtigste: die militärische Präsenz. In Afghanistan ging es, geht es und wird es mindestens zwei weitere Jahrzehnte darum gehen, den Terrorismus und die Barbarei zu bekämpfen – im Interesse des Westens. Dieser Krieg darf nicht abgebrochen werden, wenn die Milliarden Euro und die tausenden Toten, die er seit 2001 gefordert hat, nicht vergebens sein sollen.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer der Fernsehproduktionsfirma AVE.

M. Walid Nakschbandi

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