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Foto: Kai-Uwe Heinrich

© kai-uwe heinrich

Gastkommentar: Schindluder mit der Wehrpflicht

Die Institution ist kaputt reformiert – jetzt hilft nur abschaffen. Auf ihrem Grabstein sollte stehen: "Die Wehrpflicht hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht."

Man mag zu der Allgemeinen Wehrpflicht stehen wie man will. Aber ihre frivole Entsorgung durch die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sie nicht verdient. Im heiß genähten Koalitionsvertrag wurde eilfertig vereinbart, die Dauer der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate zu kürzen – wie es auch das in diesen Tagen zur Verabschiedung anstehende Gesetz vorsieht. Nicht als Ergebnis eingehender Analyse, sondern um des bloßen Koalitionskonsenses willen. Damit aber wird in Wahrheit die Axt an die Wurzel der Institution gelegt. Sechs Monate sind nun einmal viel zu kurz, um ungelernte Zivilisten zu halbwegs geschulten Soldaten zu machen, und die Koalitionäre wissen es oder müssten es wissen. Die Wehrpflicht verkommt zur ineffektiven und kostspieligen Formsache, zum Streichkandidaten.

Dennoch wird so getan, als lebe weiter, was längst nur noch vegetiert. Der Verteidigungsminister erklärt im März vollmundig, mit ihm sei „eine Abschaffung der Wehrpflicht nicht zu machen“. Die Kanzlerin gibt sich noch vor einer Woche als „überzeugte Anhängerin der Wehrpflicht“ aus. Und als zu Guttenberg, an sich ganz folgerichtig, die Kabinettsrunde dazu überrumpeln will, ihm die Bestattungsorder rasch auszustellen, lässt die ihn abblitzen. Vorerst soll die Wehrpflicht wenigstens als Mythos fortbestehen.

Ich gestehe, dass ich selbst in der Frage immer wieder geschwankt habe. Als mit dem Kalten Krieg die traditionellen militärischen Bedrohungsszenarien hinfällig geworden waren, hielt ich die Wehrpflicht für überholt.

Ein Jahrzehnt später als Mitglied der Weizsäcker-Kommission zur Zukunft der Bundeswehr kam ich dagegen zum Schluss, dass die Streitkräfte auch unter den neuen Bedingungen unserer Sicherheit den Zugriff auf qualifizierte Wehrpflichtige brauchen. Und ich engagierte mich mit der Mehrheit der Kommission für einen Auswahlwehrdienst: Einberufen werden sollten nicht etwa alle jungen Männer eines Jahrgangs, sondern nur die, welche die Bundeswehr für ihre Aufgaben tatsächlich benötige. Sie sollten zehn Monate dienen und zugleich angemessen besoldet werden. Der Vorschlag fand damals leider wenig Gegenliebe. Die FDP sah die Wehrpflicht als alten Zopf, den man schnell abschneiden solle. Union und SPD wollten vom Auswahlwehrdienst nichts wissen, weil er angeblich der Wehrgerechtigkeit nicht genüge. Dabei war die Forderung nach Wehrgerechtigkeit stets Selbsttäuschung: Als sei die mit dem Wehrdienst für den einzelnen verbundene Grundrechtsbeschränkung nur dann zulässig, wenn alle sie ertragen müssen, auch die, für welche die Bundeswehr keine Verwendung hat.

Nur das Verteidigungsministerium erkannte die Chance, die das Weizsäcker-Konzept bot. Fortan berief es nur noch nach Bedarf ein, war aber so bauernschlau, sich die gebotene Vergütung zu sparen. Damit aber war die Institution Wehrpflicht bereits angeschlagen: Immer mehr junge Männer brauchen weder Wehr- und Zivildienst zu leisten, und wer dennoch herangezogen wird, muss dies als ungerechtes Sonderopfer empfinden.

Mit der Verkürzung auf sechs Monate hat der militärische Zwangsdienst seine Berechtigung vollends eingebüßt. Heute glaube ich, dass es keinen Sinn mehr gibt, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Nicht, weil sie als Institution nicht mehr taugt; die Bundeswehr wird rasch erfahren, wie schwierig es sein wird, geeigneten Nachwuchs zu gewinnen. Sondern weil die politisch Verantwortlichen sie verspielt haben. Es ist ja immer leichter, Institutionen kaputt zu machen, als sie zu erhalten. Und immer bequemer, als notwendige Anpassung an neue Realitäten auszugeben, was in Wahrheit die Folge eigenen Versagens ist.

Auf ihrem Grabstein sollte stehen: „Die Wehrpflicht hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht.“ Die schwarz-gelbe Regierung allerdings kann das von sich nicht behaupten.

Der Autor war Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik

Christoph Bertram

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