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Gastkommentar: Schluss mit lustig!

Nicht nur das S-Bahn-Chaos zeigt: Berlin muss an die Arbeit.

Es quietscht! Der Charme des Stadtoberhauptes wirkt zwar noch bei „Bread & Butter“, sicher auch bei den Fans von Nana Mouskouri.

Derweil liegt Berlin jedoch vorne bei den Hartz-IV-Empfängern, den Arbeitslosen, den Schulversagern, den Armen. Thilo Sarrazin, der Mann mit dem manchmal gesunden Menschenverstand, hat den Senat verlassen. Da hatte er das Tafelsilber der Stadt schon verhökert. Heinz Buschkowsky – der Bezirksbürgermeister, der sich „kümmert“ – ist in seiner Partei verfemt. Hertha BSC laufen die besten Spieler davon, und einen erfolgreichen Manager schickten sie in die Wüste. Dem Zoodirektor reißt ein Affe den Finger ab. Vor dem Bundesverfassungsgericht ist Rot-Rot gescheitert.

In Potsdam – der kleinen schönen Schwester von Berlin – haben sie kundgetan, dass sie mit diesem Berlin kein gemeinsames Land bilden wollen. Zuvor hatten die Brandenburger in einer Volkabstimmung der Bundeshauptstadt einen Korb gegeben. Und immer noch wohnen etliche in Berlin, die sich nicht mit dem Gedanken anfreunden wollen, dass jene Partei, die unter Ernst Reuter und Willy Brandt den Abwehrkampf gegen die Diktatur organisiert hatte, nun eine Koalition mit den Nachfolgern der Gegner von einst anführt.

Derweil redet der Berliner SPD-Chef davon, dass der Bürgermeister von Berlin in eine höhere Liga aufsteigen sollte.

Nun aber quietscht es – zunächst „nur“ bei der S-Bahn. Dieses Symbol für die Verbundenheit der Region Berlins mit Brandenburg schafft es nur noch, den innerstädtischen Ring zu bedienen und die Berliner Bahnhöfe Südkreuz und Gesundbrunnen zu verbinden. Brandenburg ist abgehängt, weil auf Geheiß der Berliner Stadtpolitik auch bei der Institution S-Bahn gespart und gespart wurde, bis es nicht mehr ging. Da nützt es nichts, sich auf den ehemaligen Bahnchef herauszureden und den geplanten Börsengang zu verteufeln. Die Vorgabe zum Börsengang kommt von der Politik der großen Koalition, und zu der gehört jene Partei, die Berlin gegenwärtig führt. Diese Tatsache lässt sich nicht durch Scheingefechte und angebliche Abweichungen vernebeln.

„Sparen, bis es quietscht“, hieß es einst. Und danach? Jetzt quietscht es tatsächlich, doch nichts passiert. Fast ist die S-Bahn mausetot, aber es wird nur darüber diskutiert, ob die Stadtentwicklungssenatorin die Richtige sei. Als ob es darum ginge! Die S-Bahn wird vorerst Brandenburg fernbleiben. Eine Ost-West-Verbindung gibt es nicht mehr. Aber die Stadt freut sich auf ein „Event“: die Leichtathletikweltmeisterschaft. Wie werden die Besucher ins Olympiastadion kommen, wenn doch die S-Bahn gar nicht dahinfährt? Für das Event soll das möglich gemacht werden. Hoffentlich mutiert das Sportlertreffen dann nicht zur Brutstätte der Schweinegrippe!

Herrliche Aussichten sind das. Natürlich wird der Bürgermeister auf der Tribüne sitzen, wenn das Event startet. Es wird „VIP“-Logen und „VIP“-Parkplätze geben. Schließlich leben wir in einer Demokratie. Da werden eben einige Prosecco schlürfen und Häppchen speisen, während Cindy aus Marzahn davon genauso wenig profitieren wird wie die alleinerziehende Jutta aus Spandau. Sie bleiben Hartz IV und arbeitslos. Aber in ihrem Namen wird die Fete abgefackelt. So war das immer, und so funktioniert seit einiger Zeit Politik in Berlin.

Beim Prozess der deutschen Wiedervereinigung hatte man hingegen Aufwind in der Region gespürt. Vor der Gründung der Länder in der DDR tagte ein provisorischer Regionalausschuss. In ihm waren Vertreter West- und Ost-Berlins, der DDR-Bezirke Potsdam und Frankfurt/O. sowie Beauftragte der Bundesregierung und der Regierung der DDR beisammen. Sie besprachen praktische Probleme, die auf die Bürger im Zuge der Vereinigung zukommen würden. Man plante eine gemeinsame Wirtschaftsförderung und einen Verkehrsverbund für Berlin und Brandenburg.

Als später die Länder Berlin und Brandenburg gegründet waren, gab es gemeinsame Staatssekretärskonferenzen und Kabinettssitzungen. Die Regierungschefs Manfred Stolpe und Eberhard Diepgen kämpften für ein fusioniertes Bundesland gegen alle internen Widerstände. Sie taten das mit Nachdruck, obwohl im Falle eines Erfolges nur einer von beiden weiterhin Regierungschef geblieben wäre. Der damalige Senat und die Landesregierung hatten eine gemeinsame Kommission eingesetzt, die den Einigungsvertrag für Berlin-Brandenburg ausarbeitete. Der Landtag in Potsdam und das Berliner Abgeordnetenhaus stimmten zu. Aber dann sagten die Brandenburger „nein“.

Auch ein zweiter Anlauf klappte nicht. Brandenburg und Berlin sollten durch eine Fusion „von unten“ zusammenkommen. Diesmal waren die Nachfolger von Diepgen und Stolpe zu kleinmütig, und schließlich stoppte Matthias Platzeck alle weiteren Pläne. Die Region hatte eine Vision verloren. Da hatte Berlin schon seinen Bankenskandal, die Niederlage vor dem Verfassungsgericht und Schulden über Schulden. Die Hauptstadt war zum hässlichen Entchen des deutschen Föderalismus geworden. Selbst dafür hatten die nun etablierten Verwalter Berlins eine Formel, die sogar vielen gefiel: „Arm aber sexy“. Dabei blieb es. Beinharte Wirtschaftsförderung gab es nicht. Die Arbeitslosen hatten weiterhin kaum Chancen. Den Regierenden jedoch fiel ein, dass Berlin eine Marke brauche, wenn schon nichts Konkretes geschaffen werden konnte: „Be Berlin!“

Als Nächstes ist die Universitätsmedizin der Charité gefährdet, die Deutsche Oper wird man schon kleinkriegen. Dirigenten ziehen reihenweise ab. Es scheint, als sei die S-Bahn nur der Vorbote für weitere Katastrophen. In der Tat wurde gespart und gespart. Nun fiel auch Sarrazin nichts mehr ein. Er setzte sich nach Frankfurt am Main ab, und in Berlin quietscht es an allen Ecken und Kanten.

Weitere Senatoren verlassen das sinkende Schiff. Andere werden folgen. Wann wird sich die Einsicht breitmachen, dass das Sparen, bis es quietscht, die Stadt zum Scheitern geführt hat, dass sie jetzt anstelle von Entertainment Gehaltvolles braucht?

Die Show ist aus, Berlin muss wieder an die Arbeit. Andere Metropolen werden geführt von Personen, die vielleicht nicht so spektakulär auftreten, wie man es an der Spree mag. Aber Stadtobere, die mit Firmenvertretern, Gewerkschaftlern, Vereinsfunktionären und Beamten wirklich reden können, wären auch hier nicht schlecht. Berlin braucht „etwas Solides“. Sonst wird nicht nur die S-Bahn quietschen.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und FDP-Mitglied.

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