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Bringt ein radikales Rauchverbot etwas?

© dpa

Gastkommentar: Vernebelte Debatte

Das radikale Rauchverbot bringt Nichtrauchern wenig, meint Alexander S. Kekulé. Die Dosis mache das Gift.

Die Bayern sind schon ein erstaunliches Völkchen. Im Jahr 2008 gab sich ausgerechnet der bierselige Freistaat das strengste Rauchverbot der Republik. Als daraufhin die „Raucherclubs“ wie Schwammerl aus dem Boden schossen, lobte Ministerpräsident Beckstein seine „findigen Bayern“ augenzwinkernd dafür, dass sie, „wie sie nun mal sind, ein Schlupfloch aufgetan haben.“ Am Sonntag votierten nun fast zwei Drittel der findigen Bajuwaren für ein totales Rauchverbot in Gaststätten. Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei 38 Prozent – die Raucher waren wohl gerade Zigaretten holen.

Für die Volksgesundheit ist das strikte Rauchverbot ein großer Gewinn. Das liegt vor allem daran, dass Gelegenheitsraucher nun seltener Gelegenheiten zum Rauchen finden. Weniger rauchen werden auch diejenigen, bei denen Alkohol- und Zigarettenkonsum bislang reflexartig verknüpft waren. In rauchfreien Gaststätten fällt Rauchern das Aufhören leichter, Unentschlossene werden nicht zur Zigarette verführt. Die Lebenserwartung im Land der Berge und Biergärten, die sowieso (nach Baden-Württemberg) die zweithöchste der Republik ist, dürfte deshalb weiter ansteigen.

Dagegen bringt das neue Gesetz für die Nichtraucher, die es eigentlich schützen soll, kaum gesundheitliche Vorteile. Die oft zitierte Zahl von 3300 Nichtrauchern, die in Deutschland angeblich jährlich an den Folgen des Passivrauchens sterben, wurde anhand von Menschen hochgerechnet, die mit Kettenrauchern zusammenleben oder ganztätig in verrauchten Kneipen arbeiten.

Auch die von den Rauchgegnern angeführte Erhöhung des Risikos für Lungenkrebs und koronare Herzkrankheiten um 20 bis 30 Prozent bezieht sich auf Passivrauchen im Haushalt und an der Arbeitsstätte. Für die Behauptung, der gewöhnliche Besuch verrauchter Gaststätten würde Krebs, Herzinfarkte und Lungenkrankheiten verursachen, gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Dies war aber der Grund, warum das Bundesverfassungsgericht 2008 auch strenge Rauchverbote für zulässig erklärte.

Für den Qualm aus der Zigarette gilt grundsätzlich dasselbe wie für andere Schadstoffe auch: Die Dosis macht das Gift. Das Problem wäre einfach zu lösen, wenn der Bund eine „maximale Arbeitsplatzkonzentration“ festlegen würde, wie sie auch für andere Schadstoffe existiert. Bierzelte mit natürlicher Durchlüftung und Gaststätten mit guter Klimatechnik könnten die Grenzwerte problemlos einhalten. Für die Bedienungen in Eckkneipen ohne ausreichende Lüftung müssten spezielle Arbeitsschutzregeln gelten, wie etwa Beschäftigungsverbote für Lungenkranke, Jugendliche und Schwangere.

In geringer Konzentration ist Zigarettenrauch vom Nachbartisch nicht schädlicher als Frittenqualm in der Pommesbude oder Autoabgase im Straßencafe. Andere bürgerliche Freiheiten, wie Autofahren oder Alkoholkonsum, fordern weit mehr Todesopfer. Auch lauter Musik im Hinterhof, Gestank aus der Mülltonne und Handygequassel am Nebentisch wird von der Gesellschaft mehr Toleranz entgegengebracht.

Dass der blaue Dunst selbst bayerische Kaltblüter in Rage versetzt, hat auch tiefenpsychologische Ursachen. Der Geruchssinn aller Tiere reagiert auf Verbrennungsprodukte extrem sensibel: Bereits einige wenige Moleküle in der Luft können eine nahende Feuersbrunst bedeuten. Dieses archaische Alarmsystem ist auch der Grund dafür, dass ein abgebranntes Streichholz auf der Toilette Wunder bewirkt – der unangenehme Gestank wird dadurch nicht beseitigt, sondern vom stärker wahrgenommenen Brandgeruch überdeckt.

Ob das Rauchen kulturgeschichtlich auch den Sinn hatte, die Ausdünstungen der Artgenossen zu überdecken, ist nicht erforscht. Seit die Tanzlokale rauchfrei sind, weiß jedenfalls auch der urbanisierte Homo sapiens genau, wie schwüler Menschendampf riecht.

Noch schlimmer wird es nur, wenn riesige Bierlachen und Erbrochenes dazukommen – das typische Odeur der Oktoberfestzelte. Rein zufällig gibt es für das bevorstehende 200. Wies’n-Jubiläum im neuen Nichtraucherschutzgesetz bereits eine Ausnahme. Die Bayern sind halt doch findig.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

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