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© dpa

Gastkommentar: Wenn Potsdam über Kundus befindet

Es geht nicht um die Frage "Raus aus Afghanistan?", sondern darum, diejenigen zu schützen, die uns (tatsächlich oder vorgeblich) in Afghanistan schützen: unsere Soldaten.

Nicht Gewehre und Generale, sondern Politiker bestimmen die deutsche Politik. Das ist durch unser in sechzig Jahren bewährtes Grundgesetz gewährleistet. Und das muss so bleiben. Das Primat der Politik gilt. Auch das Primat des zivilen Rechts. Deshalb kennt die Bundeswehr, anders als die meisten Armeen unserer Verbündeten, keine Militärgerichtsbarkeit.

Das ist gut gemeint und gut gemacht. Es beruht auf unseligen, unsäglichen Erfahrungen.

Was gut gemeint und schlecht gemacht ist, erleben wir, genauer: unsere Soldaten, derzeit in Afghanistan. Es geht dabei nicht um die Frage „Raus aus Afghanistan?“, sondern darum, diejenigen zu schützen, die uns (tatsächlich oder vorgeblich) in Afghanistan schützen: unsere Soldaten.

Ein ziviles Fahrzeug raste kürzlich auf einen Bundeswehrwachtposten in der Region Kundus zu. Die Bundeswehrsoldaten gaben Warnschüsse ab. Das Auto fuhr weiter. Das wäre ein Angriff, meinten die Soldaten. Sie schossen. Ein unbewaffneter Jugendlicher wurde getötet, zwei ebenfalls unbewaffnete Männer schwer verletzt. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam. Die Ermittlungen aus und in Potsdam dauern in der Regel recht lange, denn der Tatort liegt nicht „um die Ecke“. Gebirge, Wüste und politisches Umfeld Afghanistans sind auch etwas ungemütlicher als der sorgenfreie brandenburgische Elfenbeinturm neben Schloss Sanssouci.

Von Sorgenfreiheit können unsere Soldaten, die „am Hindukusch unsere Freiheit verteidigen“ (Peter Struck) nur träumen. Sie bangen täglich um ihr Leben. Sie wissen auch: Die Taliban verstecken sich in der Zivilbevölkerung, um sich zu schützen. Ihre Zivilbevölkerung ist, wie in jedem Guerillakrieg, Schutzschild und Geisel zugleich. Das ist von jedem Guerilla, also auch den Taliban, gewollt, denn tote Zivilisten sind ein vorzügliches Mittel der eigenen Propaganda. Um dem Feind ein schlechtes Gewissen zu bereiten, ihn politisch und psychologisch zu verunsichern, muss das eigene Zivil leiden. Das ist das Kalkül. Wenn die Bundeswehr also nicht auf afghanische Zivilisten von sich aus schießt – und das tut sie definitiv nicht, denn das darf sie nicht – müssen Bundeswehrangriffe aufs afghanische Zivil notfalls provoziert und inszeniert werden. Selbst militärisch und militärhistorisch schlecht Informierte können sich denken, dass und wie sehr Anti-Guerilla-Kämpfer, also die Bundeswehrsoldaten, verunsichert sind.

Dann kommt der Staatsanwalt aus dem fernen Potsdam und untersucht. Das bedeutet für die Soldaten neben der militärischen Unsicherheit auch eine mentale und berufliche. Während einer staatsanwaltlichen Ermittlung kann kein deutscher Soldat be- oder gefördert werden.

Zur Belohnung dafür, dass er (oder sie) unter Einsatz des eigenen Lebens unser Wohlbefinden und „unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt“, winken rechtliche und berufliche Risiken. Auf Jiddisch sagt man dazu „Makkes und faule Fisch“, Schläge plus faule Fische.

Dass unsere Soldaten in Afghanistan, wörtlich, geschlagen sind, von den Taliban geschlagen und getötet werden, ist schon schlimm genug; dass sie auch vom deutschen Zivil geschlagen werden, ist inakzeptabel. Kriegsverbrechen müssen bestraft werden; hart bestraft werden. Aber weder das national deutsche noch das Völkerrecht haben bislang eine moralische oder instrumentell befriedigende Antwort auf irgendeinen Guerillakrieg gefunden. Schafft es der Staatsanwalt aus Potsdam?

Zunächst ist der deutsche Gesetzgeber gefordert, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, dann der internationale. Jenes geht schneller als dieses. Beides ist nötig, denn: Unsere Soldaten sind keine Mörder. Sie dürfen es auch nicht werden. Zugleich gilt umgekehrt: Unsere Soldaten sind kein „Freiwild“ für Mörder. Es ist Pflicht des deutschen Zivils, das deutsche Militär, das uns schützt, seinerseits zu schützen.

Der Autor ist Professor für neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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