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Gastkommentar: Wir brauchen kein Tigerenten-Niveau

Der Bundestagswahlkampf wirkt langweilig – aber das ist nicht weiter schlimm

Tigerenten-Koalition, altes Ehepaar, Duo, Duett, Duell? Viel Lärm um nichts! Ein langweiliger Abend! Jetzt beginnt die Jagd auf die Unentschlossenen! Und immer wieder: die Tigerente. Das Zwei-plus-Vier-Gespräch der Journalisten mit den beiden Kanzlerkandidaten liegt schon ein paar Tage zurück. Zum Duell, wie die Sendung offiziell hieß, kam es nicht. So sehr sich die vier Journalisten auch bemühten: Was sie taten, wirkte hilflos, nein, pardon: lächerlich. Ein eitles, eifersüchtiges Wetteifern unter Kollegen war das, gut geeignet als Wie-man-es-nicht-macht-Beispiel für Journalistenschulen, sonst nichts. Wie titelte doch die „Bild“ am Tag darauf so schön? „Yes, we gähn …“

Schade eigentlich! Denn was lernen wir daraus? Journalisten können es besser, und der Wahlkampf ist langweilig. Schade eigentlich? Keineswegs. Richtig: Der Wahlkampf wirkt langweilig. Aber nichts ist schlimm daran. Denn der Wahlkampf ist nicht langweilig. Wer einen Wahlkampf fordert, bei dem die Fetzen fliegen, verlangt nicht nur Unmögliches von der Politik, er unterschätzt auch uns Wähler.

Der Wahlkampf fällt diesmal in ein Jahr, das von einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt ist. Der Krieg in Afghanistan verlangt größere politische Anstrengungen, als wir erwartet hatten. Die Lage ist ernst. Sie betrifft uns alle. Wer will da ernsthaft von der amtierenden Kanzlerin und ihrem Außenminister verlangen, ein Wahlkampf-Theater aufzuführen?

Die große Koalition muss so lange regieren, bis eine neue Regierung im Amt ist, also über den Wahltag hinaus. Wir erwarten zu Recht, dass die Regierung ihre Aufgabe bis zum Schluss ernst nimmt. Wer gleichzeitig einen hitzigen Wahlkampf fordert, verlangt schizophrenes Verhalten. Wer meint, die Wähler hätten aber doch Anspruch auf einen hitzigen Wahlkampf und wollten ihn auch, der unterschätzt uns gewaltig. Glaube doch niemand, dass wir nicht wissen, in welcher Lage wir sind. Glaube doch niemand, dass auch nur eine Stimme mehr abgeben würde, wenn die Politiker die Probleme ignorierten, um Wahlkampf zu machen.

Natürlich ist eine große Zahl von Nichtwählern immer bedauerlich. Aber das ist ein altes Thema, und auch die Gründe dafür sind nicht eben neu. Nicht wählen zu müssen, ist eine Errungenschaft der Demokratie, Wahlpflicht wäre das Gegenteil davon. Nicht-Wählen heißt nicht Nicht-Politik.

Nicht-Wählen ist häufig nichts anderes als ein Protest, ein Denkzettel. Ein Protest zielt darauf ab, Unmut zum Ausdruck zu bringen, Unmut zum Beispiel darüber, dass wir nur Parteien, aber keine Kanzlerin und noch nicht mal eine Koalition wählen können. Ein Denkzettel will erreichen, dass der andere darüber nachdenkt, was auf dem Zettel steht. Zum Beispiel die Forderung, das Wahlsystem so zu ändern, dass wir mit der Zweitstimme nicht nur eine Partei wählen, sondern auch die Platzierung der Listenkandidaten beeinflussen können.

Nicht zur Wahl zu gehen, ist keine Politikverweigerung. Es ist eine Parteienverweigerung. Das hören die Parteien natürlich nicht gern. Sie beschimpfen lieber den Nichtwähler, statt sich zu fragen, ob sie vielleicht selbst ein Teil des Problems sind. Wenn die Parteien wenigstens ihre Pflichten aus dem Parteiengesetz erfüllen würden, wonach sie „die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern“ und – auch nicht schlecht – „für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen“ sollen, wäre schon viel gewonnen.

Die Parteienverweigerung ist nicht neu. Und sie wird den diesjährigen Wahlkampf auch nicht entscheiden. Die Themen sind ernst, und wir Wähler wissen das. Wir mögen zwar parteienverdrossen sein, politikverdrossen sind wir nicht. Wir brauchen kein Tigerenten-Niveau, wir brauchen keine Duelle, um uns für Politik zu interessieren. Dann lieber viel Lärm um nichts und einen vermeintlich langweiligen Abend. Auf uns Unentschlossene muss auch keine Jagd gemacht werden. Wir werden uns schon noch entscheiden. Keine Sorge! Denn zur Wahl gehen wir auf jeden Fall.

Die Autorin ist Publizistin. Zuletzt ist von ihr erschienen: „Warum ich mich nicht für Politik interessiere …“ (Lübbe Verlag).

Beatrice von Weizsäcker

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