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Muriel Asseburg ist Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Gastkommentar zu Fatah und Hamas: Deutschland sollte eine Übergangsregierung unterstützen

Das Abkommen zwischen Fatah und Hamas ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung, meint Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Nach jahrelanger Konfrontation und unzähligen gescheiterten Vermittlungsversuchen ist es den verfeindeten palästinensischen Gruppierungen Fatah und Hamas Ende April 2011 gelungen, zu einem Minimalkonsens zu kommen. Das Abkommen, das am 4. Mai von den beiden größten palästinensischen Bewegungen sowie allen relevanten kleineren Gruppierungen unterzeichnet worden ist, birgt die Chance, die Spaltung der palästinensischen Gebiete zu beenden und die schon längst anstehenden Wahlen durchzuführen. Damit wären grundlegende Bedingungen für einen demokratischen palästinensischen Staat – und damit für die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Regelung mit Israel – erfüllt.

Das Abkommen sieht eine Übergangsregierung vor, die im Konsens gebildet werden soll. Vorgesehen ist ein Kabinett aus politisch unabhängigen Technokraten. Ihre  Hauptaufgaben sollen die Vorbereitung von Wahlen, die Beendigung der seit Juni 2006 andauernden Blockade des Gaza-Streifens und der dortige Wiederaufbau sowie die Überwindung der Spaltung sein. Zugleich sollen die Kompetenzen des PLO-Exekutivkomitees dadurch nicht angetastet werden. Dies impliziert insbesondere, dass sein Vorsitzender, der derzeitige palästinensische Präsident Mahmud Abbas, auch in Zukunft mit Israel über ein Friedensabkommen verhandeln kann. Die Übergangsregierung hätte in diesem Bereich keine Vorgaben zu machen. Der Palästinensische Legislativrat, das Quasi-Parlament der Palästinensischen Autorität, soll reaktiviert werden – nachdem der Rat seit 2006 de facto funktionsunfähig war. Wahlen für den Legislativrat, die Präsidentschaft und den Palästinensischen Nationalrat (der alle Palästinenser weltweit vertritt) sollen genau ein Jahr nach Unterzeichnung des Abkommens stattfinden.

Doch es bleiben viele Fragen offen: Gelingt es, sich auf die Zusammensetzung einer Regierung zu einigen? Wie wird das Wahlsystem aussehen, so dass die Abstimmung von keiner Seite als Nullsummenspiel gesehen wird? Auf welche Art und Weise wird Hamas im Zuge des Aussöhnungsprozesses in die PLO integriert? Welche Grundsätze der PLO werden dabei als unverrückbar angesehen? Und vor allem: Wie kann es mittelfristig gelingen, die Sicherheitsapparate in der West Bank und im Gaza-Streifen wieder zusammenzuführen?

Damit ist das vorliegende Abkommen nicht mehr als ein erster, wenngleich wichtiger Schritt auf dem Weg zur palästinensischen Eigenständigkeit. Es garantiert weder ein Gelingen der Kooperation in einer Übergangsregierung noch eines darüber hinausgehenden Aussöhnungsprozesses. Es spiegelt vielmehr die Einsicht der Führungen in Ramallah und Gaza Stadt wider, dass die Bevölkerungen in der West Bank und im Gaza-Streifen nicht länger willens sind, die Unversöhnlichkeit der Kontrahenten und die Verfestigung zweier, zunehmend autoritärer Systeme zu akzeptieren. Im Zentrum der Massenproteste Mitte März stand daher die Forderung nach einer Überwindung der innerpalästinensischen Spaltung. Auch sind die regionalen Hauptverbündeten der beiden Gruppierungen durch die Umbrüche in der arabischen Welt geschwächt: Das syrische Regime, der Hauptsponsor der Hamas, wankt und das Mubarak-Regime, der Hauptunterstützer der Fatah, ist abgelöst worden. Letztlich gibt es keine Alternative zu palästinensischer Einheit, wenn es darum geht, die palästinensische Unabhängigkeit vorzubereiten – vor allem, da mit der Rechtsregierung Benjamin Netanjahus in Israel und angesichts einer inkonsistenten US-Vermittlung ohnehin keine verhandelte Friedenslösung zu erwarten ist.

Wird die Umsetzung der Einigung durch die internationale Gemeinschaft vereitelt, kann es keine landesweiten Wahlen in den palästinensischen Gebieten geben. Angesichts des „arabischen Frühlings“ und des jahrelangen Engagements der Europäer, einen demokratischen palästinensischen Staat aufzubauen, wäre es anachronistisch, Wahlen zu verhindern. Auch lässt sich ohne palästinensisches Einvernehmen die von den Europäern als kontraproduktiv erachtete Blockade des Gaza-Streifens nicht überwinden. Schließlich hat die Führung in Ramallah bislang, wenn auch nicht offiziell, gegen ein Ende der Blockade und der Isolation ihres Kontrahenten Hamas gearbeitet. Das würde auch implizieren, dass europäische Hilfsgelder dort dauerhaft für Nothilfe statt für Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung eingesetzt werden und die ansässige Bevölkerung von Hilfslieferungen abhängig bleibt. Für einen tragfähigen Frieden mit Israel sollte zudem nicht vorrangig sein, eine möglichst flexible palästinensische Position im Bezug auf die Endstatusfragen zu erreichen, sondern vielmehr eine, die vom größten Teil der Palästinenser mitgetragen werden kann. Nur dann kann es auch gelingen, ein Abkommen erfolgreich umzusetzen. Nicht zuletzt deshalb haben prominente Israelis, etwa der frühere Außenminister Shlomo Ben Ami und der frühere Chef des Auslandsgeheimdienstes Ephraim Halevy, immer wieder für eine Einbindung der Hamas plädiert.

Auch wenn das Abkommen von Israels Rechtsregierung abgelehnt wird: Die palästinensische Einigung ist eine erfreuliche Entwicklung, weil sie die notwendigen Bedingungen für palästinensische Eigenstaatlichkeit und eine Zweistaatenregelung schafft. Deutschland und die EU sollten sie daher unterstützen. Schließlich haben sie immer wieder eine palästinensische Aussöhnung gefordert. Nun sollten Berlin und Brüssel klar signalisieren, dass sie zur Kooperation mit einer Übergangsregierung bereit sind, die von der Hamas mitgetragen wird.

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