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Dieser Argentinier hat sich als Gaucho verkleidet.

© AFP

Gaucho-Gate: Im falschen Film

Der Gaucho-Song der Nationalspieler war eine Narretei. Dabei gibt es viele, die das hätten verhindern können

Vermutlich hat auf der Fanmeile kaum jemand die Szene 100-prozentig mitbekommen. Keine Minute hat sie gedauert, Stunden hatten die Fans zuvor warten müssen. Erst durch die millionenfache Video-Wiederholung im Internet wird „So gehen die Gauchos“ zum politischen Vorgang, so wie auch bei der WM manches Foul erst in der Zeitlupe erkennbar wurde.

Schon das Wort #gauchogate zeigt die verbreitete Lust an der empörten Überhöhung, die Klicks generiert und soziale Medien antreibt. Im Kern war der tapsige Sprechgesang der Weltmeister nicht mehr als eine drittklassige Albernheit, vor der sie jemand hätte bewahren müssen. Wer hat das nicht schon erlebt, dass eine Pointe, die eben noch genial schien, als Peinlichkeit endet? Schwamm drüber!

Nur: Wie konnte das eigentlich passieren? Das Event war doch durchgeplant, die Organisatoren hatten so viele Details bedacht. Jemand hatte rechtzeitig das amtliche Kennzeichen „GER-WM 4“ für den WM-Truck beantragt, es gab eine Überfluggenehmigung für den „Siegerflieger“, und die Sponsoren hatten ihre Logos überall platziert. Nichts davon war Zufall. Nur den Moment, auf den das alles hinführte, hatte offenbar niemand richtig vorbereitet. Das ist der Skandal – wenn es denn einer ist – und nicht die doch eher harmlose Einlage der sechs Fußballer.

"Wat wollen se jetzt?“

Die Spieler der Nationalmannschaft sind Profi-Fußballer, aber eben nicht Profi-Comedians oder Profi-PR-Leute. Sensationellen Fußball haben sie gezeigt, und sie sind ein großartiges Team. Aber warum lässt man sie ausgerechnet im Moment ihres größten Triumphs allein? Vor Publikum das Richtige zu sagen, ist eine Standardsituation, die älter ist als der Fußball. Und man kann sie üben, wie man Eckstöße übt. Niemand würde auf die Idee kommen, erfolgreiche TV-Entertainer spontan und ohne Training für das WM-Finale aufzustellen. Stefan Raab hätte, bei aller Sportlichkeit, das entscheidende Tor gegen Argentinien ganz sicher nicht geschossen. Aber Mario Götze soll als Comedian singend und tanzend vor einem Millionenpublikum überzeugen? Warum denn bloß? Spontan kann doch so ein Moment sowieso nicht wirklich sein, also sollte er überlegt sein.

Viele sonnen sich im Glanz der Nationalmannschaft, viele kommen durch sie zu Ansehen und Wohlstand, und doch hat es offenbar keinen Einzigen gegeben, der das Programm am Brandenburger Tor mal durchgegangen wäre. Wo war der Berater, der den Spielern sagt: „Jungs, das ist ja ganz nett, was ihr da einstudiert habt, aber auf die Gauchos verzichtet ihr besser, okay?“

Und das hätte auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sein können, immerhin war er Journalist und Kommunikationschef des DFB. Denn mit auch nur einem Hauch von Reflexion wäre man schnell darauf gekommen, dass diese Einlage nicht passt: nicht zu dem Ort, nicht zu dem Anlass und auch so gar nicht zu dem Auftreten der Mannschaft zuvor. Die Deutschen hatten sich während der WM ja gerade nicht hochmütig gezeigt. Wie sie nach dem 7:1 auf die Brasilianer zugegangen sind – rührend und großartig.

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Der Vorgang zeigt auch, dass die Sommermärchenleichtigkeit der Deutschen vielleicht zuweilen doch noch brüchig ist. Es wäre fatal, wenn der vierte Stern durch die Gaucho-Narretei etwas von seinem Glanz verlöre. Und deswegen ist auch ein förmliches Entschuldigungsschreiben des DFB an den argentinischen Fußballverband nicht der richtige Weg. Der Fauxpas würde so erst zur Staatsaffäre!

Stattdessen wäre es schön, wenn zum Beispiel die, die sich in der Kabine an die verschwitzten Leiber drückten, zur Mäßigung beitrügen. Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel könnten doch durchaus bei nächster Gelegenheit mitteilen, dass auch sie das Gaucho-Getanze grenzwertig fanden, aber dass sie auf ihre Jungs sonst nichts kommen lassen. Die Spieler denken sonst bald, sie sind im falschen Film.

„Wat wollen se jetzt?“, hatte Per Mertesacker einen Reporter angeätzt und hinzugefügt: „Ich verstehe die ganze Fragerei nicht.“ Das Grundgefühl gilt hier vermutlich ähnlich, die Nationalspieler dürften sich total missverstanden fühlen. Fußballgeschichte haben sie geschrieben, und jetzt wird ihnen dieses Tänzchen vorgehalten? Recht haben sie. Aber ihre Berater sollte sich schon selbstkritisch fragen, wie sie ein solches PR-Debakel als Schlusspunkt dieser grandiosen Weltmeisterschaft zulassen konnten.

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