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Gazastreifen: Dichte Grenze - und doch durchlässig

Pünktlich zur Amtseinführung von Barack Obama will jeder der regionalen Potentaten dem neuen US-Präsidenten einen Gaza-Waffenstillstand vor die Füße legen. Doch alle ziehen in eine andere Richtung - und die Europäer treiben Ratlosigkeit und ein schlechtes Gewissen.

Fünf ganze Tage und vier halbe Krisengipfel: Riad, Doha, Scharm al Scheich und Kuwait – die arabische Diplomatie beweist an diesem Wochenende, dass sich auch das übliche Chaos noch steigern lässt. Jeder der regionalen Potentaten möchte dem neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama pünktlich zur Amtseinführung einen Gaza-Waffenstillstand vor die Füße legen.

Doch alle ziehen in eine andere Richtung. Qatar versucht, neben der Hamas auch deren Sponsoren aus Teheran und Damaskus einzubinden. Das wiederum schmeckt den arabischen Schwergewichten Saudi-Arabien und Ägypten nicht, die mit eigenen Gegenveranstaltungen kontern. So lud Präsident Hosni Mubarak, der keinerlei Hehl mehr daraus macht, dass er eine harte Niederlage der radikalen Palästinenser wünscht, für Sonntag ein halbes Dutzend europäischer Regierungschefs plus UN-Generalsekretär Ban Ki Moon für drei Stunden nach Scharm al Scheich ein.

Der über Nacht ausgesprochenen Einladung sind alle bereitwillig gefolgt. Denn die Europäer treibt Ratlosigkeit und ein schlechtes Gewissen. Ohne Bedenken sind sie fast zwei Jahre lang der israelisch-amerikanischen Linie gefolgt, den Gazastreifen „auf Diät zu setzen“, wie man das zynisch in Jerusalem nannte. Ihre Billigung einer harten Blockade und einer totalen politischen Kontaktsperre für Hamas hat die Kriegskatastrophe mit ausgelöst. Europas Staatskanzleien haben tatsächlich geglaubt, man könne im 60. Jahr nach der Erklärung der Menschenrechte 1,5 Millionen Menschen einfach wegschließen, mit der Mindestkalorienzahl zum Überleben versorgen – und dann bei den Malträtierten auf Einsicht und ein friedliches Zusammenleben hoffen.

Jetzt gilt es, aus den Fehlern zu lernen. Die internationale Gemeinschaft muss künftig die zivile Freizügigkeit für die Bevölkerung des Gazastreifens, darunter 800 000 Kinder und Jugendliche, garantieren. Das Terrain darf nicht mehr palästinensischen Kassam-Bastlern und israelischen Vergeltungsplanern überlassen bleiben. Dazu müssen die Grenzen des Gazastreifens durchlässiger, aber auch dichter gemacht werden. Durchlässiger für Familienbesuche, Studenten mit Auslandsstipendien, Kranke, für die Einfuhr von Waren und die Ausfuhr von Produkten. Dichter dagegen für Waffen und Sprengstoff, aus dem die Fanatiker ihre Raketen basteln.

Die USA haben am Freitag in hastiger Zeremonie mit Israel ein Abkommen unterzeichnet, das den Waffenschmuggel über die Grenze zu Ägypten unterbinden soll. Die Europäer zogen mit einem Trainingsangebot für ägyptische Grenzwächter nach, damit diese den örtlichen Tunnelkönigen besser auf die Schliche kommen.

Ob sich das Stollennetz jedoch ganz abdichten lässt, ist zweifelhaft. Grenzen hier funktionieren anders als in Europa. Weite Teile des strukturschwachen Sinai leben vom Schmuggel. Besser geschulte Grenzwächter alleine oder neueste Sonartechnik werden das ebenso wenig ändern wie die Bunker brechenden Bomben der Israelis. Die Menschen im Sinai brauchen Alternativen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und die Menschen in Gaza die Aussicht auf ein Leben in Würde – und in Frieden.

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