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Meinung: Gegen den Strom

Der Streit um Biblis A lenkt vom eigentlichen Problem der Atomkraft ab: der Entsorgung

Ganz gleich, wie man die Manager des deutschen Stromkartells beurteilt, eines ist unbestreitbar: An Chuzpe mangelt es ihnen nicht. Erst bringen sie die halbe Republik gegen sich auf, indem sie auf Kosten der Verbraucher mit Mondpreisen exorbitante Gewinne einfahren, um damit weltweit auf Einkaufstour zu gehen und immer größere Konzernimperien zu schmieden. Und nun haben sie sich vorgenommen, den nach jahrzehntelangem Ringen mühsam befriedeten Großkonflikt um die Atomkraft erneut zu entfachen.

Anders ist der am Montag gestellte Antrag des RWE-Konzerns zur Verlängerung der Laufzeit des Uraltreaktors Biblis A sowie die Ankündigung ähnlicher Anträge von Seiten der Unternehmen EnBW, Eon und Vattenfall für ihre eigenen Altmeiler kaum zu verstehen. Die Provokation beginnt schon damit, dass es sich de facto um einen eklatanten Vertragsbruch handelt. Bei Unterzeichnung des Kompromisses zum Ausstieg verpflichteten sich beide Seiten, sie würden „ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird“. Davon kann nun keine Rede mehr sein. RWE-Chef Harry Roels und seine Kollegen legen es erklärtermaßen darauf an, den Vertrag zu Fall zu bringen. Ausgerechnet die ältesten und unsichersten Anlagen sollen länger laufen, als per Vertrag vereinbart und im Atomgesetz festgelegt.

Dabei ist sogar fraglich, ob der Vorstoß auch nur rein wirtschaftlich sinnvoll ist. Denn wenn es um den Klimaschutz oder mehr Wettbewerb am Strommarkt geht, fordert die Strombranche stets mit einigem Recht, die Politik müsse für langfristig stabile Rahmenbedingungen sorgen, sonst könne man nicht auf Jahrzehnte im voraus in Kraftwerke und Verteilernetze investieren.

Indem sie nun den Streit um den Atomausstieg in der regierenden Koalition anheizen, erzeugen die Strommanager dagegen genau die Unsicherheit, die sie ansonsten so gern beklagen. Das ist auch deshalb unverständlich, weil es voraussichtlich nichts zu gewinnen gibt. Zwar genießen die Atomstromer die Unterstützung von Wirtschaftsminister Michael Glos und den Landesfürsten der Union.

Gleichwohl ist es eher unwahrscheinlich, dass Kanzlerin Angela Merkel die Koalition mit der SPD ausgerechnet an der Atomkraft scheitern lassen wird, wenn SPD-Umweltminister Gabriel die Laufzeitanträge zurückweist. Einen Weg aus dem Stimmungstief der Unionsparteien weist der Konflikt jedenfalls nicht.

Die bewusst herbeigeführte erneute Polarisierung der Parteien in der Atomfrage ist jedoch nicht nur politischer Unfug, sie ist auch verantwortungslos. Denn sie versperrt nun erst recht den Weg zur Lösung des eigentlichen deutschen Atomproblems, der Suche nach einem Endlager für die todbringende Last von heute schon weit über 10 000 Tonnen hochradioaktivem Abfall aus den alten Brennstäben.

Längst ist klar, dass nur über ein international besetztes Expertengremium und auf wissenschaftlich-rationaler Basis ein solcher Standort so bestimmt werden kann, dass er für die Bevölkerung halbwegs akzeptabel ist. Doch die politische Logik wird es nun wohl gebieten, dass die Union einen entsprechenden Vorschlag des SPD-Ministers genauso blockieren wird wie dieser die Verlängerung der Laufzeiten. Wenn nun zudem, wie gestern angekündigt, alle Umweltverbände der Republik gemeinsam zum „Widerstand“ gegen die Atombranche mobilisieren, stehen alle Beteiligten wieder genau so da wie vor sieben Jahren.

Insofern darf getrost bezweifelt werden, ob die Chuzpe der Stromfürsten mit der nötigen strategischen Intelligenz einhergeht, die ihre Stellung eigentlich erfordert.

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