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Meinung: Gegensätze ziehen nicht mehr

Es gibt sie längst, die neuen Reformer – sie haben es nur selbst noch nicht gemerkt

Eigentlich müsse sich die SPD keine Sorgen machen, verkündete der Kanzler und Parteivorsitzende den verdutzten Journalisten nach den verlorenen Landtagswahlen. Schließlich gebe es in der Partei eine Reihe von Talenten unter den 40Jährigen. Auf die Frage, ob er denn zumindest fünf von ihnen nennen könne, fiel Schröder nur der Name seines Kronprinzen in Hannover, Sigmar Gabriel, ein. Dieser hatte die SPD soeben auf einen historischen Tiefststand geführt. Am Ende siegten die „jungen Wilden“ der CDU, Koch und Wulff. Offenbar haben es die Youngsters in der SPD schwerer, sich im Schatten von Gerhard Schröder zu profilieren. Woran liegt das? Wer könnte es schaffen, die zwischen 1940 und 1950 geborene Nachkriegsgeneration abzulösen? Und für welche Politik stünde diese neue SPD?

Eine Vertreterin der jungen Generation ist Ute Vogt, Jahrgang 1964, Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg und Staatssekretärin im Bundesinnenministerium. Sie forderte nach den Denkzettel-Wahlen ein Leitbild, das die Zeit nach den anstehenden Reformen und ihre Folgen für Bürger und Staat diskutiert. Die SPD auf dem Weg zu einem zweiten Godesberg? Noch steht der Mann von gestern, Rudolf Scharping, Mitglied des ehemaligen Trios mit Schröder, Lafontaine, der Programmkommission vor.

Den Altvorderen in der SPD, die in den siebziger und achtziger Jahren für den gesellschaftlichen Aufbruch warben, ist inzwischen offenbar jeglicher Realitätssinn abhanden gekommen. Es wäre falsch, die beiden Landtagswahlen als Quittung des schlecht gelaunten Bürgers abzuschreiben. Handwerkliche Fehler verzeiht der Wähler. Was er nicht versteht und nicht akzeptiert ist eine Politik des „Weiter so“, des „business as usual“, denn sie bietet in Zeiten von Rezession und strukturellen Krisen keine Lösung. Eine Politik der Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit verlangt nach anderen Bildern und Botschaften. Nach Leitbildern, die die notwendigen Veränderungen und nicht den alten Zustand beschreiben.

Die Generationsgenossen Schröder, Fischer oder Stoiber haben – bei allen Unterschieden – viele Gemeinsamkeiten. Geprägt durch die Vergangenheit, den Kalten Krieg und die Bonner Republik mit ihren Werten Stabilität und Konsens, setzen alle drei auf die deutsche Olympiade des „Immer mehr, immer besser, immer stabiler“. Heute, am Ende des Glaubens an die Routinen und Strukturen des deutschen Modells, trägt diese Politik immer weniger.

Die nach 1960 Geborenen haben die Welt anders erlebt: nicht als fertiges Produkt und statisches Modell. Das ist ihr Vorteil. Weniger ideologisch suchen sie nach Vereinbarkeiten, nicht nach Gegensätzen. Sie brauchen keine Kommissionen, um zu wissen, dass die Deutschen früher arbeiten und später in Rente gehen müssen. Sie brauchen auch kein „Bündnis für Arbeit“, das Empfehlungen ausspricht, deren Kosten andere (der Steuerzahler, nachkommende Generationen) tragen werden. Und sie ahnen längst, dass mehr Sozialpolitik und Staat nicht mehr Gleichheit und Gerechtigkeit produzieren.

Die Gewerkschaften haben das Definitionsmonopol über den Sozialstaat verloren. Was eine neue Politikergeneration einen könnte, wäre der Glaube an eine anspruchsvolle und deshalb starke Politik: Nicht die Summe der Einzelinteressen macht eine gute Politik aus, sondern eine, die das Ganze im Blick hat. Eine Agenda, die das ökonomische Lager (Schwarz-Gelb) und das kulturelle Lager (Rot-Grün) zu neuen Allianzen verbindet, ohne dabei ständig zu polarisieren, zu attackieren und zu moralisieren.

Die Politik von gestern war eine Welt der Gegensätze und Dualismen: Kapital - Arbeit, Reich - Arm, Jung - Alt, Mann - Frau. Ihre Institutionen sind die Gewerkschaften, die Sozialausschüsse, ein starres Arbeitsrecht, die erwerbsfixierten sozialen Systeme und die Frauenbeauftragten. Diese Politik ist 1989 erfolgreich gescheitert und trägt im Zeitalter von Globalisierung und Individualisierung nicht mehr. Das „deutsche Modell“ stellt keine Zukunftsmarke mehr dar. Es taugt nicht als Überschrift für die Zeit nach den anstehenden Reformen. Eine Politik der Generationengerechtigkeit braucht neue Formeln und Formate. Die alten Sicherheiten sind weg, aber auch die alten Restriktionen und Festlegungen. Was kommt jetzt?

Nötig ist eine klare Führung für den Wandel, eine, die sich über Parteigrenzen hinweg formiert und von einer breiten Beteiligung getragen wird. Eine Reformbewegung, ähnlich wie „damals" – nur eben anders: offener, unideologischer, verbindlicher.

Der Autor leitet den Thinktank „BerlinPolis“ und ist Herausgeber des kürzlich erschienenen Buches: „Marke D – Das Projekt der nächsten Generation“.

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