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Hacker haben einen riesigen Schatz an Daten gestohlen.

© dpa

Gehackte E-Mail-Konten: Die Entzauberung des Internets

Nachdem nun Hacker eine gigantische Zahl von E-Mail-Konten geknackt haben, sind wir erschüttert, empört – und zumeist ratlos. Wenn die Privatsphäre im Internet nicht ausreichend geschützt ist, gehört jeder Klick zum allgemeinen Lebensrisiko.

Und jetzt noch das! Hacker haben so viele E-Mailkonten geknackt, dass sich Millionen Deutsche neue Passwörter suchen und um ihre Rechner und die Sicherheit von Kreditkarten oder Bankguthaben sorgen müssen. Diese Erfahrung trifft viele Online-Zeitgenossen womöglich tiefer als die trotz aller Dramatik abstrakte Vorstellung, in den unsichtbaren Tentakeln einer Cyberkrake namens NSA zu zappeln.

Ob greifbarer Schaden oder nur unbegreifliche Bedrohung: Wir sind erschüttert, empört – und zumeist ratlos. „Wir“, dieser persönliche Plural ist hier angebracht, weil das Thema fast jeden betrifft. Es rührt an unser zivilisatorisches Selbstverständnis. Zu ihm gehört, seit es das Internet und die Mobiltelefone gibt, auch die Freiheit und Integrität der digitalen Information und Kommunikation.

Das WWW neu denken

Die vergangenen Monate aber haben dieses Selbstverständnis verändert. Ein Super-Blogger wie Sascha Lobo räumt nun ein, das Internet sei „nicht das, wofür ich es gehalten habe“ – nicht das globale Heil der Gegenwart. Und der Vorsitzende der deutschen Piratenpartei mahnt an, man müsse „das World Wide Web noch einmal neu denken und aufbauen“. Er meint: „dezentral, verschlüsselt und verteilt“, was heißen soll, ohne die großen amerikanischen Suchmaschinen und deren Vernetzung mit mächtigen Konzernen oder allmächtigen Geheimdiensten.

Eine hübsche Utopie

Das wiederum klingt nach einer hübschen Utopie. Denn wie „world wide“ in lokalen Einheiten funktionieren soll, das wissen die digitalen Götter. Das ist vermutlich ein wenig komplizierter, als den globalen Hamburger aus jeweils regionalem Rindfleisch zu gewinnen. Und die Idee der neuen, perfekten Verschlüsselung? Es war der Brite Alan Turing, der den Computer miterfand – und im Zweiten Weltkrieg den angeblich bombensicheren Nachrichtencode der Deutschen entschlüsselt hat.

Das Internet neu zu denken, sieht doch anders aus. Am Anfang müsste wohl die Entzauberung stehen. Bis vor kurzem galt das Netz als Wirklichkeit gewordene Utopie. Es vermag alle Welt miteinander zu verbinden und sorgt für nie gekannte Transparenz. Kein Diktator, kein Steuerflüchtling, kein Kinderschänder ist vor Enthüllungen seiner dunklen Geheimnisse mehr sicher. Nicht einmal die Großen der Großmacht China können ihre angehäuften Reichtümer noch unerkannt verstecken. Ein jüngster Triumph digitaler Demokratie.

Wenn aber das Internet zur Ideologie oder säkularen Religion wird und der heimische Rechner zum Hausaltar, bedarf es der neuen Aufklärung. Denn nicht jedes soziale Netzwerk stärkt das soziale Verhalten im realen Leben, so wenig wie der entfesselte Mitteilungsdrang. Und mancher, der sich über die NSA jetzt aufregt, war so naiv anzunehmen, er bewege sich selbst als digitaler Exhibitionist noch geschützt – in einem Raum ohne Wände.

Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erscheint ausgehöhlt

Trotzdem gibt es die zu bewahrende Privatsphäre. Im E-Mailverkehr, am Telefon. Nur wird diesen Schutz kein No-Spy-Abkommen hinkriegen. Weil No-Spy mit Spionen nicht geht. Da macht im Ernst keine Regierung und kein Geheimdienst mit. Nicht der amerikanische, russische, chinesische, britische, israelische. Nicht einmal der deutsche BND. Keine im Moment denkbare Software, keine je denkbare Weltinternetpolizei und kein IT-Sicherheitsgesetz wird uns dagegen helfen. Also erscheint das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht einst formulierte, ausgehöhlt.

Die radikale Konsequenz könnte sein: Wer mailt, surft oder übers Handy telefoniert, begibt sich freiwillig in den digitalen Orbit und kommuniziert so außerhalb der Sphäre des absolut (und real) zu schützenden Post- und Fernmeldegeheimnisses. Jeder Klick gehört dann zum allgemeinen Lebensrisiko, weil man im Internet verunglücken oder verloren gehen kann wie im Straßenverkehr, auf hoher See oder im Flugzeug. Freilich wäre es auch ein Eingeständnis, dass wir unser eigenes Zauberwerk nicht mehr vollständig beherrschen. Goethe heute hätte darüber das Gedicht vom „Cyberlehrling“ schreiben können.

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