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Geiselnahmen und Medien: Das Theater vor dem Vorhang

Ein Bus, ein Geiselnehmer, mögliche Todesopfer und ein Polizeieinsatz. Sofort laufen die Kameras, wir schalten live nach Manila - und fühlen uns an Gladbeck erinnert.

Vor einer Woche jährte sich das Geiseldrama von Gladbeck zum 22. Mal. Am 16. August 1988 nehmen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski bei einem Überfall auf eine Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck zwei Bankangestellte als Geiseln. Die Geiselnahme entwickelt sich zu einem Medienereignis, das es in Deutschland in dieser Form noch nicht gegeben hat. Weil Rösner und Degowski mit der Presse eine unheilige Symbiose eingehen. Während der stundenlangen Verhandlungen mit der Polizei beginnen die Geiselnehmer erste Interviews zu führen. Eine Geisel hatte zwei Nachrichtenredaktionen informiert. Sie kommunizieren ihre Forderungen über die Medien, instrumentalisieren die Journalisten als Sprachrohr. Und die Presse bekommt ihrerseits die ganz große, exklusive Geschichte, ist schnell weit detaillierter informiert als die Einsatzkräfte vor Ort.

Schließlich entspinnt sich ein spektakuläres Katz-und-Maus-Rennen durch Nordhein-Westfalen und über die Autobahn bis nach Bremen, wo Rösner und Degowski schließlich einen Bus der Linie 53 in ihre Gewalt bringen. 32 Fahrgäste sind an Bord. Das Geiseldrama entwickelt eine kaum für möglich gehaltene Dramaturgie. Und ein ganzes Land schaut zu. Rösner und Degowski geben Live-Interviews im deutschen Fernsehen, das ihnen die Bühne für eine diabolische Selbstinszenierung bereitet. Die beiden Geiselnehmer genießen das Spiel mit der Öffentlichkeit und dem Leben ihrer Geiseln.

Die Geiselnahme ist da längst zu einem Fernsehspiel geworden, perverses Popcornkino, in dem die Realität jedes Tatort-Drehbuch nur wie das Fantasiegebilde eines einfallslosen Pazifisten wirken lässt. Im weiteren Verlauf ihrer Flucht töten Rösner und Degowski den 15jährigen Italiener Emanuele de Giorgi und die 18-jährige Silke Bischoff, die während der Befreiungsaktion der Polizei von Rösner erschossen worden sein soll. Rösner und Degowski werden schließlich überwältigt und später zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch es bleibt ein Gefühl zurück, dass sie nicht die einzigen Täter in diesem Echtzeitkrimi waren.

Die zwei Tage des Gladbeck-Dramas gehören noch immer zu den schwarzen Stunden des deutschen Journalismus. Weil die Medienvertreter in ihrer Sensationsgier zu Komplizen geworden waren. Spätestens nachdem Udo Röbel, ein Journalist, der damals für den Kölner Express arbeitete, mit in das Fluchtauto gestiegen war, hatten sie die Distanz zu den Tätern verloren. In ihrer Sucht nach Bildern behinderten sie die Arbeit der Polizei und gaben den Tätern einen öffentlichen Resonanzraum, der ihnen nicht zustand. Sie überhöhten Rösner und Degowski als nationale Antihelden. Die Berichterstattung war plötzlich Teil des Verbrechens, weil die mediale Aufmerksamkeit zum Treibstoff für die Täter wurde. Applaus und stehende Ovationen für das Böse, das sich im Scheinwerferlicht verbeugen durfte. 48-Stunden-Ruhm. Andy Warhol ins Unermessliche potenziert.

Und doch hatten sich hier lediglich Angebot und Nachfrage bedingt. Denn wie jede Inszenierung brauchte auch das Gladbeck-Drama sein Publikum. Etwa 13 Millionen Deutsche verfolgten die Flucht vor dem Fernseher. Das sind Einschaltquoten wie sonst nur bei Wetten, dass…?. Im Dreieck zwischen Medien, Tätern und Zuschauern hatte sich ein Spannungsfeld entwickelt, das jedem genau das gab, was er wollte. Die Täter bekamen Öffentlichkeit, die Journalisten eine Geschichte und die Öffentlichkeit Gänsehaut. Die Presse befriedigte hier eben auch den Voyeurismus des Zuschauers. Sie streichelten den Spanner, der vor dem Fenster zur Welt klebt.

Gladbeck - Manila - derselbe Voyeurismus

Seit Gladbeck sind nun über 20 Jahre vergangen. Geändert hat sich seitdem nicht viel. Die Reflexe der Medien sind dieselben geblieben. Erst recht, wenn die Zutaten stimmen. So wie an diesem Montag in Manila. Ein Bus, ein Geiselnehmer, mögliche Todesopfer und ein Polizeieinsatz, der auch aus einem Film mit Denzel Washington stammen könnte. Sofort leuchten rote Lichter auf und der amerikanische Nachrichtensender CNN zieht sein Breaking-News-Banner über das Fernsehbild. Schnell folgen die deutschen Stationen, BBC ist auch schon live dabei. Breaking News eben. Wir schalten live nach Manila. Seit den Morgenstunden spielt sich in der Hauptstadt der Philippinen ein Geiseldrama ab, das dem in Gladbeck nicht ganz unähnlich ist. Ein ehemaliger Polizeibeamter hat einen Bus mit 25 Fahrgästen an Bord in seine Gewalt gebracht. Nachdem er zehn Geiseln hat laufen lassen, droht er nun den Rest zu töten. Angeblich. Denn was genau im Bus passiert, weiß niemand. Weder die aufgeregte CNN-Moderatorin, noch ihre aufgeregte Reporterin, die in der Nähe des Busses steht. Ihre Stimme plärrt wie durch ein Dosentelefon. Sie spricht viel. Sagt aber nichts, weil sie nicht weiß, was sie noch erzählen soll. Sie ist weiter weg, als der Zuschauer, der durch den Zoom eines Kameraobjektivs auf die Szenerie blickt wie durch ein Opernglas. In der ersten Reihe. Gute Plätze. Es entwickelt sich ein Dialog zwischen der Moderatorin und ihrer Reporterin. "Wurde geschossen?", fragt die eine Stimme, bemüht empathisch. "Ich kann das nicht bestätigen", antwortet die andere, ihre Stimme ein Echo des Mitgefühls. Nichts ist sicher. Es wird geschossen. Es wird gefilmt. Was aber genau passiert, bleibt unklar. Die Kameras aber bleiben drauf. Der Zuschauer wird so zum Augenzeugen. Und doch sieht er nicht viel.

Der Reisebus, weiß und blau, von der Polizei gestoppt, steht quer auf einer Autobahn mitten in Manila. In den Fenstern verweigern dunkle Vorhänge einen Blick in das Innere des Busses. Er könnte längst leer sein, die Geiseln tot, der Geiselnehmer. Das eigentliche Theater entspinnt sich aber ohnehin vor dem Bus und in den Fernsehstudios.

Unter den Fenstern kauern Polizisten eines Sondereinsatzkommandos, die Mündungen ihrer Waffen sind ins Ungewisse gerichtet, daneben kauern Reporter und Kameramänner, auch ihr Blick geht ins Ungewisse. Und aus dem Off kommentiert eine Frauenstimme etwas, das man nicht kommentieren kann. Das alles bewegt sich im luftleeren Raum aus Mutmaßungen. Die Szenerie gewinnt ihren Nervenkitzel allein aus dem Rätselraten. Denn: Natürlich darf geschossen werden. Der eigentliche Film läuft längst im Kopfkino. Angetrieben von der Möglichkeit eines Blutbads. Es ist derselbe Voyeurismus, der hier zum Tragen kommt wie in Gladbeck. Die Chance etwas Bösem beizuwohnen, etwas Existenzialistischem. In einen Abgrund hineinsehen zu dürfen. Live und in Farbe. Es ist diese selbe Lust am Zusehen, die etwa die grünen Nachtaufnahmen aus dem Irak-Krieg erzeugen. Ein möglicher Raketeneinschlag, ein Schatten hinter einem dunklen Vorhang. Für das Fernsehen gilt deshalb: Dabei sein ist alles. "Da hat sich etwas bewegt", plärrt die Frauenstimme aus Manila. Es gibt Tote, wird sie gleich sagen. Vielleicht gibt es auch keine. Sicher ist aber, dass man nicht sicher sein kann, ob es keine gibt. Schließlich stürmen die Polizisten den Bus, werden zu Schatten hinter dunklen Vorhängen. Schüsse. Ob im Bus oder irgendwo davor, auch das kann niemand so genau sagen. Die Kameras aber bleiben drauf. Bis zum Ende dieses Echtzeitkrimis, der nur einer ist, weil er einer sein darf. Weil die Stimme der CNN-Reporterin hier künstlich Spannung aufbaut wie sonst nur Filmmusik in schlechten Horrorfilmen.

Nach zehn Stunden endet das Geiseldrama. Unspektakulär, weil nur spektakulär ist, was sichtbar ist. Doch die Bilder wirken unscharf. Das Kopfkino füllt die Lücken. Die Kameras verharren auf einer Menschenmasse. Reporter, Überlebende und Polizisten verschwimmen zu einer grobkörnigen Masse. Sie sind nun nicht mehr auseinander zu halten. Im Bus gehen die Vorhänge auf. Das Theater ist zu ende. Nur das Interview mit dem Geiselnehmer entfällt dieses mal. Er ist im Bus erschossen worden.

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