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Meinung: Genau gezielt

Mit dem Anschlag in Jerusalem haben die Extremisten die Road Map getroffen

Der Anschlag in Jerusalem ist, wie auch der in Bagdad, unentschuldbar. Er hat nichts mit einem möglicherweise nachvollziehbaren Widerstand gegen Besatzungsmächte zu tun. Das Blutbad unter religiösen Kindern und deren Eltern im Jerusalemer Bus hat bei beiden Völkern Hoffnungen zerstört, unerlässliche Fortschritte des Friedensprozesses verhindert oder erheblich verzögert. Es könnte, ja, dürfte der Anfang vom Ende nicht nur der „Hudna“, der Waffenruhe, sondern der Road Map zum Frieden sein.

Der amerikanische Präsident kann noch so viel reden, der israelische Ministerpräsident ebenso viele Drohungen aussprechen, sein palästinensischer Amtskollege unzählige Versicherungen abgeben: Es sind die Extremisten – nicht einmal alle, sondern wohl nur ein paar kleine Gruppierungen unter ihnen –, die den Ton angeben und mittels ihrer Untaten die Politik des Nahen Ostens vorrangig bestimmen.

Die Road Map ist die letzte Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts, zumindest aus Sicht der USA und der EU und der Optimisten unter den betroffenen Völkern. Die Realisten in beiden Lagern warnten von Anfang an, dass die Road Map in ihrer Gänze nicht umsetzbar sei, schon nach der ersten Phase wohl in eine Sackgasse führe. Die Pessimisten sehen sich nun durch den Anschlag bestätigt: Die Road Map sei eine Fehlschlag, der über die allerersten Schritte nicht hinaus komme. Zwischen diesen beiden Lagern hat sich fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit ein Grüppchen eingenistet. Ihre These: Allzu vieles ist auf beiden Seiten geschehen, als dass es noch umkehrbar wäre, zu diesem Zeitpunkt komme jede Friedensbemühung zu spät. Israels unentwegte Siedlungsaktivitäten und die palästinensische Gewaltstrategie und ihre jeweiligen Folgen seien unüberwindliche Hindernisse auf dem Weg zum Frieden. Deshalb täte man auf beiden Seiten besser daran, sich auf die neue Wirklichkeit einzustellen und dementsprechend die Zukunft zu planen.

Beides, Realität und Zukunft, werden für beide Völker von einem gewissen, nicht geringen Maß an Gewalt geprägt bleiben. Mit der sie aber, wie in den letzten drei Jahren der Intifada bewiesen, zähneknirschend leben könnten. Der palästinensische Staat werde Wunschtraum bleiben, der israelische seinen jüdischen Charakter verlieren und zu einem binationalen Gebilde mutieren.

Der Täter und seine Hintermänner haben auch so unerschütterliche Optimisten wie den 80-jährigen Nobelpreisträger Schimon Peres zur Überzeugung gebracht, dass ein Dialog nicht mehr stattfinden könne, wegen Erfolglosigkeit sinnlos sei, und einem kompromisslos unerbittlichen Kampf gegen die Terroristen Platz machen müsse. Ministerpräsident Ariel Scharon, der sich nach außen kompromissbereiter als seine eigene Regierung gegeben hat – intern aber stolz verkündete, er habe den Palästinensern „bisher nichts gegeben“ – kann nun nicht einmal mehr mickrige und von den Palästinensern als beleidigend verstandene „Gesten des guten Willens“ machen. Die Tat hatte nicht nur das unmenschliche Ziel möglichst viele Juden zu töten. Vielmehr hießen die taktischen Ziele Mahmud Abbas und Mohammed Dahlan, mit deren Sturz die Extremisten ihrem strategischen Ziel einer Friedensverhütung ein gewaltiges Stück näher kommen würden. Dem palästinensischen Regierungschef und seinem Sicherheitsminister war vom Anfang ihrer Amtstätigkeit an bewusst, dass sie auf Schleudersitzen Platz genommen hatten. Sie werden diese schon sehr bald betätigen müssen, wenn ihre internen Gegner weitere opferreiche Anschläge verüben und so die Machtlosigkeit des Duos Abbas/Dahlan nachweisen können.

Oder aber dieses nimmt – wie von den USA gewünscht und von Israel verlangt – den umfassenden Kampf gegen die Terroristen, deren Hintermänner und Infrastrukturen auf, riskiert einen Bürgerkrieg und auch in diesem Fall die eigene Macht.

Ohne Abbas und Dahlan, welche sich nach dem Anschlag in jedem Fall in einer Verliererposition befinden, sind keine weiteren Fortschritte zur Befriedung der Region denkbar. Es droht also genau so zu kommen, wie es Täter und Hintermänner wollten. Die durch die „Hudna“ ursprünglich ausgelöste kurze Phase der Entspannung droht in eine unendliche Periode neuer Kämpfe, Blutbäder und Vergeltungsschläge, umzukippen.

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