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Meinung: Generalprobe Rügen

Auf eine menschliche Pandemie sind wir nicht vorbereitet

Alexander S. Kekulé Das sonst so idyllische Rügen ist im militärischen Belagerungszustand. Auf der zum Katastrophengebiet erklärten Ferieninsel ist ein ganzes ABC-Bataillon im Einsatz, in der Luft donnern Tornadojets. Die Bodentruppen der Bundeswehr sind für die Abwehr von Angriffen mit atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen ausgebildet. Durch die Vollschutzanzüge mit Gasmaske kämen nicht einmal Ebolaviren oder Milzbrandsporen. Dagegen wirkt der Auftrag der Kampfspezialisten ziemlich trivial: Autos desinfizieren und tote Vögel einsammeln, die von den Spezialkameras der Tornados aufgestöbert wurden. Zumindest erweckt das Aufgebot der Desinfektionskanonen gegen Spatzen, Schwäne und anderes Federvieh den Eindruck, die Lage sei endlich unter Kontrolle.

Der Feind hat sich jedoch längst zum Festland aufgemacht und breitet sich dort unbehelligt unter Wildvögeln aus. Wenn es nicht gerade ein Virus wäre, also quasi halb tote Materie, würde sich H5N1 vermutlich hämisch ins Fäustchen lachen. Die betroffenen Landkreise Ost- und Nordvorpommern haben ebenfalls Katastrophenalarm ausgelöst, damit die Bundeswehr zu Hilfe kommt. Offenbar sind die lokalen Behörden bereits mit einer Hand voll toter Vögel überfordert.

Das in Deutschland eingefallene Virus ist eine für Vögel besonders gefährliche Variante des H5N1, die erstmals im April 2005 am Qinghai-See in Zentralchina auftauchte. Damals verendeten in kurzer Zeit über 6000 Wildvögel. Die neue Variante des H5N1 breitet sich besonders rasant aus, weil sie sehr umweltbeständig ist und von Zugvögeln über weite Strecken getragen wird – welche Vogelarten als Überträger bedeutsam sind, ist noch nicht geklärt. Bisher ist es keinem der betroffenen Staaten gelungen, das Vogelgrippevirus unter Kontrolle zu bringen. Es muss deshalb realistischerweise angenommen werden, dass sich H5N1 auch in Deutschland unter Wildvögeln weiter ausbreiten wird. Die Maßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern können das zwar verzögern, aber wahrscheinlich nicht verhindern.

Für den Rest der Republik heißt das: Sofort die Schotten dicht machen bei Nutz- und Hausgeflügel – also Kontakt zu Wildvögeln unterbinden und durch Desinfektionsbarrieren verhindern, dass das Virus durch das Personal in die Ställe eingeschleppt wird. Wenn andernorts schneller als auf Rügen gehandelt wird, kann das Virus mit großer Sicherheit aus der menschlichen Nahrungskette herausgehalten werden.

Zweitens sollten sich die Gemeinden schon einmal warmlaufen für das Einsammeln toter Vögel – spätestens beim fünften Katastrophenalarm wird die Bundeswehr nicht mehr genug Personal und Gerät haben, um den Job zu übernehmen, der laut Verfassung Aufgabe der Gemeinden und Länder ist. Drittens müssen Pläne für den Frühling erstellt werden, falls Seeufer und Freibäder dann nicht mehr sicher sind.

Das Chaos bei der Bekämpfung der Vogelgrippe erinnert düster daran, dass Deutschland für eine menschliche Grippepandemie noch schlechter gerüstet wäre: Die Pandemiepläne der Länder sind noch nicht fertig, die Kliniken noch nicht vorbereitet, die Grippemittel noch nicht ausgeliefert. Auch hier wären aufgrund der föderalen Struktur die Länder und Gemeinden zuständig. Doch gibt es keine Bundeswehrbataillone für Grippebehandlung, die überforderten Landräten und Bürgermeistern zu Hilfe eilen könnten.

Bei der Bestellung der Grippemittel Tamiflu und Relenza träumen einige Bundesländer davon, von den anderen etwas abzubekommen, wenn die Katastrophe da ist. Andere träumen, der Impfstoff stünde im Pandemiefall so schnell zur Verfügung, dass Kleinstmengen der Grippemittel ausreichen. Vielleicht gelingt es der Vogelgrippe doch noch, die Politik bei der Abwehr der menschlichen Pandemie wachzurütteln – jeder Krise wohnt ja bekanntlich auch eine Chance inne.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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