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Meinung: Generation Trabant

Die jungen Ostdeutschen können mit der westdeutschen Identitätskrise nichts anfangen – sie haben schon einen Crash hinter sich

Deutschland ist geteilt in Ost und West. Keine Angst, jetzt kommt nicht wieder der Streit alter Männer um vier Jahrzehnte Geschichte, auch nicht die Jammerei der in die Jahre gekommenen Elterngeneration über soziale Ungerechtigkeiten. Nein, es soll hier um eine verdrängte Generation gehen – um die jungen Erwachsenen Ende 20/Anfang 30, die nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung gerade mit dem beruflichen Einstieg beschäftigt sind. Jene Menschen, die mit Investitionen die Wirtschaft beleben sollen und mit hohen Eigenbeiträgen die Sozialsysteme am Leben erhalten müssen.

Diese Menschen haben gemeinsame Interessen: einen halbwegs krisenfesten Job, eine wie auch immer funktionierende Rentenversicherung und ein tolerantes Umfeld, das nicht jede Idee sofort mit bürokratischen Regelungen kontert. Obwohl diese Interessen ständig verletzt werden, fällt die junge deutsche Generation kaum auf. Das liegt auch daran, dass sie gespalten ist – in Ost und West.

Der Autor Florian Illies, 32, geboren bei Fulda, hat jüngst sein Buch „Generation Golf zwei“ veröffentlicht. Darin geht es, kurz gesagt, um das richtige Verfassen einer E-Mail oder SMS und um das Verdrängen des Börsencrashs in der Cocktailbar. Für junge Ostdeutsche klingt das albern. Natürlich werden im Osten auch gerne elektronische Nachrichten geschrieben, natürlich trinken dort die meisten ihr Bier nicht mehr aus Dosen – aber die Selbstbespiegelung mit Banalitäten des Alltagslebens scheint eher eine westdeutsche Angelegenheit zu sein.

Die Identitätssuche der zukünftigen Elterngeneration geht im Westen immer noch vorrangig über Marken (Nutella), Events (Love Parade) und Dresscodes vonstatten (und wenn das zu langweilig wird, streift man sich ein nachgemachtes „Aeroflot“-Shirt über oder stellt sich einen alten, ach so coolen DDR-Sessel in die Wohnung). Bei den meisten Ostdeutschen geht es dagegen um handfeste Dinge: um ein gutes Verhältnis zur Familie, um den Willen, keine Schulden zu machen, um Arbeitsplätze. Das ist nicht erst seit dem Börsencrash so. Wir jungen Ostdeutschen haben bereits einen Crash hinter uns: die Wende.

Keine Frage: die Einheit, das ist freies Reisen und freies Reden. Aber mit dem Umbruch brach auch Sicherheit weg. Schulbücher waren plötzlich nichts mehr wert, in der Familie wurden viele arbeitslos. Nur langsam haben wir uns vom Schock erholt. Nun sind wir stärker, gelassener. Wir haben gelernt, worauf es ankommt. Viele Westdeutsche können sich bis heute nicht vorstellen, wie es in einer Kleinstadt in Mecklenburg aussieht, in der ein Betrieb nach dem anderen zumacht und in der das Schulhaus leer steht. Die jungen Leute dort ziehen weg. Nicht, weil sie sich von ihrer Herkunft emanzipieren und ihre Utopien verwirklichen wollen. Sondern, weil sie sich nicht so nutzlos vorkommen wollen wie ihre Eltern.

In letzter Zeit kommt es öfter vor, dass junge Erwachsene aus dem Westen den jungen Erwachsenen aus dem Osten zurufen: Ihr müsst Euch mehr engagieren! Tretet in Parteien ein und kämpft für eine gerechte Rentenversicherung! Mischt die Institutionen auf und brecht die Macht der ehemaligen 68er! Das klingt ein wenig so, als agitiere eine im Ruhrgebiet ansässige Gewerkschaftsjugend der IG Metall, um in Sachsen einen neuen Streik für kürzere Arbeitszeiten vorzubereiten.

Die meisten ostdeutschen Jugendlichen sind erst gar nicht in der Gewerkschaft, auch nicht in einer Partei oder in der Kirche. Das heißt nicht, dass sie unpolitisch oder unsozial sind. Es heißt nur, dass ihnen die Institutionen des Westens so fremd geblieben sind wie die Dresscodes. Die Generation Trabant zwei kümmert sich lieber um Freunde und Familie; sie versucht, sich gegenseitig bei der Jobsuche zu helfen. Das ist unsere kleine Revolution im Osten. Beim Generationenkonflikt warten wir ab, wie sich die Sache entwickelt. Schlimmstenfalls bricht das Sozialsystem zusammen. Aber auch das haben wir schon einmal überstanden.

Unser Autor, 28, geboren im sächsischen Marienberg, ist Tagesspiegel-Redakteur.

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