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Geplanter Neubau auf Tempelhofer Feld: Warum Berlin eine Bibliothek für 270 Millionen Euro braucht

Brauchen wir im Internetzeitalter noch teure Bibliotheken? Und muss ausgerechnet das Pleiteland Berlin so viel Geld für einen Neubau der Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld ausgeben - nämlich 270 Millionen Euro? Na klar!

Von Anna Sauerbrey

Berlins Senat macht ernst: Im Dezember soll der Architekt für den Neubau der Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld feststehen, 2016 soll mit dem Bau begonnen werden, 2021 soll das Gebäude eröffnet werden. Die konkreten Pläne und nicht zuletzt die geschätzten Kosten von 270,2 Millionen Euro rufen erneut die Kritiker auf den Plan. Deren Skepsis hat drei Ebenen. Erstens, fragen sie, brauchen wir im Internetzeitalter überhaupt noch Bibliotheken? Zweitens, selbst wenn wir Bibliotheken brauchen, brauchen diese Bibliotheken Gebäude? Und drittens: Selbst wenn wir Bibliotheksgebäude brauchen, muss ausgerechnet das Pleiteland Berlin so viel Geld dafür ausgeben? Alle drei Fragen lassen sich mit Ja beantworten.

Nicht trotz, sondern gerade wegen der digitalen Revolution brauchen wir Bibliotheken. Anders als der Buch- und Musikmarkt erleiden Bibliotheken die Digitalisierung nicht, sondern gehören mit großen Erschließungsprojekten zu ihren Treibern. Diese Projekte sind längst nicht abgeschlossen. Zudem fordert die digitale Wissenswelt kundige Wegweiser. Bibliotheken erschließen und bündeln nicht mehr einzelne Werke, sondern Plattformen und Zugänge, denn auch die kann der einzelne Nutzer längst nicht mehr überblicken. Bibliotheken fungieren außerdem als Interessenvertretung der Informationsgesellschaft. Das digitale Wissen ist längst nicht frei zugänglich. Exklusive und monopolistische Geschäftsmodelle fragmentieren die digitale Wissenswelt. Bibliotheken verschaffen Zugang zu Wissen, indem sie mit Plattformen, digitalen Zeitschriften und Verlagen Konditionen aushandeln, die ein Einzelner nie bekommen würde. Sie helfen, die immer neuen technischen Zugangsbarrieren zu überwinden, die es im Papierzeitalter schlicht nicht gab.

Es ist sinnvoll, dass diese Wegweiser und Interessenvertreter der Nutzer an einem konkreten Ort, in einem Gebäude, erreichbar sind. In der Wissensgesellschaft ist die Nachfrage längst nicht mehr auf Wissenschaftler und Studenten beschränkt. Und in Wahrheit ist eine Türschwelle oft niedriger als eine virtuelle Schwelle. Das zeigt schon heute die große Nachfrage. In die Berliner Amerika-Gedenkbibliothek und in die Stadtbibliothek strömen 5000 Besucher täglich, das Hochschulbibliothekszentrum NRW zählte deutschlandweit für das Jahr 2012 124 Millionen Besuche, verteilt auf knapp 8000 Institutionen. Experten erwarten, dass die Nachfrage noch steigt. Offenbar verlangen Wissenskonsum und -verarbeitung nach einem Ort. Der kreative Kopfarbeiter des 21. Jahrhunderts muss vielleicht nicht unbedingt im Bürogebäude seines Unternehmens sitzen, er arbeitet aber dennoch gern unter Gleichgesinnten. Die Pläne für die neue Landesbibliothek tragen diesem Bedürfnis Rechnung, mit Arbeitsräumen für Einzelne, Gruppen und Eltern mit Kindern.

Bleibt die Frage, ob Berlin sich einen 270-Millionen-Neubau leisten sollte. Die Mängel der alten Standorte sprechen dafür, wie der Senat in seiner Bedarfsanalyse plausibel machen kann. Weder ist genug Raum für die Besucher, noch ist die Technik den Anforderungen gewachsen. Doch auch jenseits der praktischen Notwendigkeiten gibt es Gründe. Berlin beansprucht, ein Modell der urbanen Moderne zu sein. Und was würde besser als Symbol dafür taugen als eine neue Landesbibliothek – virtuell global vernetzt und dennoch verortet im Stadtraum?

Nennt es Bibliothek. Nennt es Wissenszentrum. Nennt es Co-Working-Space. Aber baut es!

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