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Meinung: Gescheitert – an zwei Prozent

Berliner Gewerkschaften lassen den Solidarpakt platzen – und haben nichts davon

Drei tolle Tage hat Berlin hinter sich – voller Hoffnung auf bessere Zeiten. Auslöser für das Hochgefühl: das Expertengutachten zur Zukunft der Hochschulmedizin. Zum ersten Mal war es gelungen, eine der für Berlin typischen Verwicklungen elegant aufzuknoten – eine Einzelfalllösung mit Modellcharakter. Der Anteil der Politik an dieser Meisterleistung: allenfalls die Provokation einer willkürlichen, brutal vollzogenen Fehlentscheidung. Erst die Empörung darüber ebnete dem erfolgreichen Verfahren den Weg.

Hat der Senat auch jetzt, bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften über einen „Solidarpakt“, nur provozieren wollen?

Fest steht, dass die Politik das Ergebnis der Gespräche in seiner Finanzplanung einseitig festgelegt hat: Bis zum Ende des Jahres 2006, so haben es SPD und PDS beschlossen, müssen im Öffentlichen Dienst 1,75 Milliarden Euro gespart werden. Verhandelt werden kann also nur noch über den Weg, nicht über das Ziel. Und noch etwas trägt zur Kampfbereitschaft der Beschäftigten bei: Schuld an der Misere, wegen der sie jetzt auf Geld oder sogar ihre Arbeit verzichten sollen, ist – die Politik selbst. Sie hat die Bürokratie erschaffen und wuchern lassen, an der die Stadt heute zu ersticken droht; sie hat zu spät erkannt, dass sie umsteuern muss; sie hat der Bankgesellschaft so blind freie Hand zur Verschwendung gegeben. Von solchen Leuten lässt man sich nicht gerne erpressen.

Aber hat der Senat eine andere Wahl? Wohl kaum. Niemand kommt an der Erkenntnis vorbei, dass Berlin viel zu viel ausgibt für den Öffentlichen Dienst, aber leider viel zu wenig einnimmt, um sich das leisten zu können. Dieses Missverhältnis ist unter anderem eine Folge von Teilung und Einheit der Stadt, auch der mutigen und richtigen Entscheidung des Diepgen-Senats zu Beginn der neunziger Jahre, die Gehälter der Beschäftigten im Osten schnell auf Westniveau zu bringen; für diese Tat wurde Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder geworfen. Die Gewerkschaften haben das finanzielle Desaster Berlins nicht zu verantworten, die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes schon gar nicht. Ignorieren können sie es aber auch nicht – im Interesse ihrer Stadt, die andernfalls zu verkümmern droht, aber auch in ihrem eigenen.

Der Senat hatte vorgeschlagen, dass die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes vorläufig auf Teile ihres Weihnachtsgeldes verzichten und auf ihre allfällige Gehaltserhöhung, also auf einen Zuwachs von zwei Prozent im Jahr. Im Gegenzug, so das Angebot, würde die Arbeitszeit verringert, bis auf 37 Wochenstunden 2006. Der Verzicht auf die Gehaltserhöhungen allein hätte im kommenden Jahr 130 Millionen Euro gebracht, im darauf folgenden bereits das Doppelte und in vier Jahren mehr als 500 Millionen Euro. Das klingt doch eigentlich ganz zumutbar, wenn man die Alternative bedenkt.

Oder doch nicht? Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nennt die Vorschläge des Senats unsolidarisch und unsozial; die Arbeiter, Angestellten und Beamten würden „ in extremer Weise“ benachteiligt. Die Gewerkschaften ließen die Verhandlungen platzen.

So bleibt dem Senat tatsächlich keine Wahl: Vom Jahr 2005 an, wenn der Beschäftigungsvertrag nicht mehr gilt, wird das Land einem Teil seiner Beschäftigten die Kündigung aussprechen und die Beamten ohne Lohnausgleich zu mehr Arbeit verpflichten. Ob das wirklich im Sinn derjenigen ist, die sich von den Gewerkschaften vertreten lassen? Von der Stadt, die das aushalten muss, wollen wir lieber erst gar nicht reden.

Wir sind gestern wieder etwas ärmer geworden: um eine Hoffnung – und um mehr als sechs Millionen Euro. Die gingen allein am Donnerstag nur für Zinsen drauf.

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