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Mitarbeiterinnen der Deutschen Bank auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank. Die Debatte um Gleichstellungspolitik ist hoffnungslos überfrachtet und moraldurchtränkt, mein Anna Sauerbrey.

© dapd

Geschlechterpolitik: Frauen sind noch immer allein mit der Arbeit

Die Debatte um Gleichstellungspolitik ist hoffnungslos überfrachtet und moraldurchtränkt, meint Anna Sauerbrey. Im Kern steht eine Frage, in der wir uns schlichtweg nicht einig werden: Was ist das gute Leben?

Von Anna Sauerbrey

Sigmar Gabriel nimmt bald Elternzeit. Drei Monate lang werde er sich „vorrangig“ um sein Kind kümmern und „im Wesentlichen“ zu Hause bleiben, kündigte der SPD-Chef in einem Interview an. Folgt man Ann Romney, der Frau des republikanischen Präsidentschaftskandidaten in den USA, arbeitet Gabriel in dieser Zeit trotzdem weiter. Ann Romney, die zu Hause geblieben ist und fünf Kinder großgezogen hat, musste sich kürzlich gegen Angriffe der Demokraten verteidigen, „in ihrem Leben nicht einen Tag lang gearbeitet“ zu haben. Doch, hatte Romney geantwortet, Kinder großziehen, das ist Arbeit.

Es ist tröstlich, dieses kleine amerikanische Wahlkampfgeplänkel. Hier wie drüben gilt heute anscheinend mehr denn je der Wahlspruch der Sponti-Bewegung: Das Private ist politisch. Es ist beruhigend, dass die Deutschen mit den fortschrittlichen Amerikanern gemeinsam unter diesem Diktum ächzen. In Deutschland ist die Debatte um die Gleichstellung von Mann und Frau so lebendig wie selten – und ideologisch aufgeladen wie lange nicht mehr. Das Betreuungsgeld spaltet die Koalition, eine parteiübergreifende Allianz von Bundestagsabgeordneten will die Quote durchsetzen, die Familienministerin stellt sich gegen den Strom und ein Buch vor mit dem Titel „Danke, emanzipiert sind wir selber“. Egal, für welches Lebensmodell sich Eltern entscheiden, sie landen in einer der Schubladen irgendwo zwischen hedonistisch-karrieregeil und reaktionär-von-gestern.

Der Hebel, der angesetzt wird, ist das schlechte Gewissen. Einerseits das schlechte Gewissen von Eltern, die das Gefühl haben, ihren eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen ihrer Kinder nicht gleichzeitig gerecht werden zu können. Andererseits das schlechte Gewissen derjenigen Frauen, die glauben, „die Sache“ zu verraten, das große Projekt Gleichberechtigung. Damit aber nicht genug. Neuerdings werden auch antikapitalistische Ressentiments mit eingerührt: Dass mit besseren Möglichkeiten der Kinderbetreuung mehr Frauen der Weg auf den Arbeitsmarkt geebnet wird, ist das nicht ein Mechanismus des bösen Systems? In die Demografiefalle geraten, schnappe es mit gefletschten Zähnen nach der letzten Reserve. Selbst der Liberalismus muss herhalten. Beim Betreuungsgeld, sagen Befürworter, gehe es darum, überhaupt erst Wahlfreiheit zu schaffen. Auch die Fronten sind unklar geworden. Viele Frauen sind die Opferrolle leid, Männer wiederum beginnen gerade, sich darin einzurichten, als Leidtragende einer missglückten Gleichstellungspolitik. Oft sind es Scheindebatten, um nicht zugeben zu müssen, dass wir uns schlicht nicht einig sind und auch nie einig werden, was das ist: das gute Leben.

Die ganze Debatte ist hoffnungslos überfrachtet und moraldurchtränkt. Dass die Familienministerin in ihrem Buch daher laut „Lasst uns in Ruhe“ ruft, ist verständlich. Doch so einfach ist es nicht, denn die Rechtfertigungsarbeit ist ebenso ungleich verteilt wie die Gehälter und die bequemen Ledersessel. Sie wird weiterhin vor allem von den Frauen bewältigt. Dass Sigmar Gabriel sich zu seinen Familienverhältnissen äußert, bleibt eine Ausnahme. Politikerinnen beantworten diese Frage routinemäßig. Damit echte Wahlfreiheit entstehen kann, sind Frauen weiterhin auf die Unterstützung des Staates angewiesen, jedenfalls, wenn es schnell gehen soll, damit es nicht noch einmal fünfzig Jahre dauert. Man kann das Mantra nur wiederholen: Mehr Kinderbetreuung. Und wo es sein muss, die Quote.

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