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Gesundheitsminister: Mutig ohne Risiko

Eines ist Philipp Rösler schon mal gelungen. Alle sind überrascht. Über die plötzliche Angriffswut des bislang so nett wirkenden Gesundheitsministers. Und darüber, dass er ausgerechnet gegen eine Branche zu Felde zieht, die als besonders mächtig und seiner Partei nahestehend gilt.

Haben Rösler und seine FDP wirklich verstanden, dass dem Geldverdienen in einem solidarisch finanzierten System Grenzen gesetzt werden müssen? Dass Arzneihersteller und ihre Aktionäre nicht auf Kosten des Sozialstaats florieren dürfen? Oder steckt dahinter nur taktisches Kalkül im Vorfeld der NRW- Wahl – von deren Ergebnis die künftige Gestaltungsmacht der Koalition abhängt.

Leider spricht viel für Letzteres. Rösler weiß genau, dass man sich mit Sparattacken gegen Klinikbetreiber und Ärzte, die ihre Patienten mobilisieren können, wenig beliebt macht. Als David gegen den Pharma-Goliath dagegen lässt sich punkten. Und wie heftig man den Konzernen dann auf die Füße tritt, kann angesichts der komplexen Materie kaum einer beurteilen. Analogpräparate, Solisten, Generika, Re-Importquoten – man muss fast schon Apotheker sein, um bei dieser Debatte nicht auszusteigen. Was zählt, ist der markige Ton – vor allem, wenn ihn „Bild“ und Fernsehnachrichten verbreiten.

Bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass Röslers mutiger Vorstoß auffällig den Ideen ähnelt, mit denen die Pharmalobby selber hausieren geht. Das Wichtigste: Keine Preisvorgaben für innovative Arznei, wie in allen anderen Ländern außer den USA gang und gäbe. Wenn man, wie von Rösler geplant, mit den Krankenkassen nur über Rabatte verhandeln muss, kann man ja nach Teppichhändlermanier mit entsprechend höheren Preisen einsteigen. Und die Kosten-Nutzen-Bewertung, die der Minister nun vorantreiben will? Die dauert, die Widersprüche der Hersteller eingerechnet, Jahre. Und hat der Minister nicht eben erst tatkräftig mitgeholfen, den als besonders pharmakritisch geltenden, obersten Arzneiprüfer abzusägen?

Bleiben die angedrohten Zwangsrabatte und Preismoratorien. Dass sie, wenn überhaupt verhängt, eine spürbare Größenordnung erreichen, ist unwahrscheinlich. Die Debatte um gefährdete Arbeitsplätze in der heimischen Pharmaindustrie hat ja schon begonnen. Und die Union arbeitet mit ebendiesem Argument bereits daran, bestehende Rabattverträge für sogenannte Nachahmerpräparate wieder einzukassieren – obwohl die Kassen damit dreistellige Millionenbeträge sparen. Irgendwas passt da nicht zusammen.

Letztlich liegt das am Grundwiderspruch des Systems. Dem volkswirtschaftlich immer wichtiger werdenden Medizinsektor geht es umso besser, je schlechter es den Bürgern geht. Davon hängt schließlich ab, wie viel Arztbetreuung, Pillen und Hilfsmittel sie benötigen. Man kann das auch auf die Beitragszahler drehen. Damit das Geschäft brummt, muss man sie immer tiefer in die Tasche greifen lassen.

Das aber kann es nicht sein. Natürlich muss die Pharmaindustrie aufwendige Forschung in Rechnung stellen dürfen, sie soll auch Gewinne machen. Demnächst kommen neuartige Krebsmittel auf den Markt, die Chemotherapien ersetzen, pro Patient und Jahr aber fünfstellige Summen verschlingen. Solcher Fortschritt ist ein Segen, er darf niemandem vorenthalten werden. Aber er ist nur bezahlbar, wenn überteuerte und unwirksame Arznei von der Solidargemeinschaft rigoros aussortiert wird. Dafür braucht es effektive Kontrollen, politischen Druck – und einen durchsetzungsstarken Minister. Rösler kann jetzt zeigen, wie ernst er es meint. Und ob er so mutig ist, wie er sich geriert.

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