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Meinung: Gesundheitspolitik: Die Krankheit steckt im System

Das deutsche Gesundheitssystem ist krank. An der Konjunktur kann es dieses Mal nicht liegen.

Das deutsche Gesundheitssystem ist krank. An der Konjunktur kann es dieses Mal nicht liegen. Kein US-Virus hat sich eingenistet. Denn das System leidet unter einer hausgemachten Schwäche. Es ist eine Krankheit, die zum Tode führen kann. Ein Systemwechsel wäre möglich. Doch die Gesundheitsministerin will ihn nicht, weil sie fürchtet, sie müsste zu vielen - Wählern - weh tun.

Jetzt geben sich alle Akteure überrascht. Als ob man es nicht hätte wissen können. Die finanzielle Lage der Krankenkassen ist dramatischer als befürchtet: Im Jahr 2001 wird ein Defizit von fünf Milliarden Mark erwartet. Das Geld kann man sich holen, wo man will: Von der Ökosteuer oder anderen Abgaben oder vom Kapitalmarkt: Im Klartext bedeutet es eine Beitragssteigerung um 0,3 Prozentpunkte. Das liegt in der Logik des Systems. Seit 1970 ist der Beitragssatz der gesetzlichen Krankenkassen von 8,2 auf 13,6 Prozent gestiegen. Und die Prognostiker befürchten, dass die Bürger 2040 für ihre Gesundheitsvorsorge mindestens 16, maximal sogar 23 Prozent zahlen müssen.

Dieses System ist krank. Für einen festen Eintrittspreis werden die besten Leistungen medizinischer Versorgung versprochen. Wenn es wenigstens so wäre! Im Weltgesundheitsreport belegt Deutschland bei den medizinischen Leistungsstandards den Platz 14. Und unter Berücksichtigung der Kosten fallen die Deutschen gar auf Platz 25 zurück. Durchschnittliche Gesundheitsleistungen bei überdurchschnittlichem Ressourceneinsatz, heißt das in der Sprache der OECD. Das System verführt die Anbieter - Ärzte, Krankenhäuser, Pharmaindustrie - dazu, ihre Leistungen auszuweiten und die Kosten hochzutreiben, ohne dass die Abnehmer gefragt werden, ob sie diese Leistungen wollen. "Angebotsseitig induzierte Nachfrageausweitung" heißt der Skandal in der vornehmen Sprache des Sachverständigenrats.

Wo gibt es das sonst, dass Anbieter die Preise diktieren? Bei Monopolen und Kartellen. Kein Wunder, dass die Gesundheitsanbieter in Deutschland als Regionalkartelle mit Zwangsmitgliedschaft funktionieren. Auch dafür gibt es vornehmere Begriffe: Dann spricht man von Selbstverwaltung durch Kassenärztliche Vereinigungen. Das ändert nichts an der korporatistischen Verkrustung der Strukturen.

Es gibt eine Medizin gegen diese Krankheit. Nur heißt es, Deutschland wolle sie nicht einnehmen. Die Kur heißt Wettbewerb. Zerschlagt die Angebotskartelle der Kassenärzlichen Vereinigungen und lasst Ärzte und Krankenhäuser direkt mit den Krankenkassen Verträge vereinbaren. Das wäre die Radikalkur für die Angebotsseite. Auf der Absatzseite müsste die Therapie nicht minder radikal ausfallen: Mit Zwangsbeiträgen dürfte lediglich eine Versicherungspflicht in Höhe einer Mindestsicherung finanziert werden. Die Menschen wären darüber hinaus völlig frei, Zusatzleistungen nachzufragen und dafür höhere Policen mit ihrer Versicherung zu vereinbaren. Dann könnten die Anbieter Gesundheitsleistungen nur nur dann erhöhen, wenn die Menschen auch bereit wären, dafür mehr zu bezahlen. Es könnte gut sein, dass der eine oder andere für seine Gesundheit im Schnitt mehr als 14 Prozent seines Einkommens für seine Gesundheit aufwenden will. Es ist ja bisher noch keiner gefragt worden.

Klingt diese Kur für das Gesundheitssystem nicht irgendwie vertraut? Richtig. Doktor Werner Müller hat sie jüngst in seinem Wirtschaftsbericht 2001 verordnet. Doch damals sind unter Anführung der Gesundheitsministerin alle über ihn hergefallen. Schade.

Rainer Hank

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