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Dann schauen wir doch noch mal! Eine Studie ergab gerade bei Schwangeren eine erhebliche Überversorgung.

© dpa

Gesundheitspolitik: Extrauntersuchungen gegen Extrazahlungen

Und wo auf der Rechnung steht das Patientenwohl? Wie das Vertrauen in Ärzte ruiniert wird. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wenn es in Sachen Gesundheit um Hoffen oder Wissen geht, wer würde da nicht lieber wissen?

Wie soll man also reagieren, wenn man einem Arzt gegenübersitzt, der einen informiert über Testmöglichkeiten, denen man sich unterziehen kann, könnte, sollte – aber keinesfalls muss? „Ihre Entscheidung“, sagt der Arzt und schaut auf die Uhr. Schaden wird’s schon nicht, denkt man da vielleicht, und macht den Test, für den man selbst be- oder zuzahlt. Alltag in Deutschlands Praxen – und mindestens ein Ärgernis, wenn nicht ein Skandal.

Entweder ist eine Untersuchung nötig, dann wird sie durchgeführt. Oder sie unnötig, dann unterbleibt sie. Darauf möchten sich – ungeprüfte und dennoch erhobene Behauptung – fast alle Menschen gerne verlassen können.

Zu viele Ultraschalls, zu viele Bluttests

Stattdessen wurde Anfang dieser Woche eine Bertelsmann-Studie zur Schwangerschaftsvorsorge veröffentlicht, deren Ergebnis in der Kurzfassung lautet: verbreitete Überversorgung, bestehend aus zu vielen Ultraschalluntersuchungen, zu vielen Abstrichen, zu vielen speziellen Blutuntersuchungen. Medizinische Maßnahmen ohne medizinischen Anlass. Dafür aber gepaart mit mangelhafter Aufklärung und fast durchgängig erhobenen Zuzahlungen. Die Gynäkologenschaft hielt sofort dagegen und teilte mit, dass die in den Richtlinien vorgesehen Behandlungen sich eben an dem orientierten, was für Krankenkassen wirtschaftlich sei. Ein gutes Gefühl bei Patienten hinterlässt solcher Zank ums Notwendige wohl kaum.

Die Studie blickt ins Ausland: In den USA und in Kanada würden anlasslose Ultraschalluntersuchungen „aufgrund der bis heute nicht eindeutig geklärten Nebenwirkungen für das Ungeborene abgelehnt“. In Dänemark würden Schwangere ab der dritten Ultraschalluntersuchung ins Krankenhaus überwiesen.

Der Verdacht: Es geht ums Geschäft

Warum macht man hier in Serie 3-D-Bilder von Ungeborenen? Ob das eine „explizite medizinische Untersuchung“ sei oder eher „ein von wirtschaftlichen Interessen sowie subjektiven Bedürfnissen gelenktes Babyfernsehen“, das sei die Frage, heißt es in der Studie. Eine klare Antwort kommt dann zwar leider nicht, aber schon im Titel wird der Zusammenhang von Vorsorgepraxis und „Geschäft“ hergestellt.

Mit Medizin kann viel Geld verdient werden. Und seit die Ärztebudgets gedeckelt sind, gibt es immer weniger Patienten, die eine Praxis verlassen, ohne mit möglichen Zusatzzahlungen konfrontiert gewesen zu sein. Bis dahin, dass sie, bevor sie den Arzt nur gesehen haben, bereits Erklärungen unterzeichnen, welcher Betrag im Fall einer XY-Behandlung privat zu zahlen sei. Das Vertrauen Arzt–Patient wird auf diese Weise nicht nur erschüttert. Es wird ruiniert. Aus der einstigen Folgsamkeit à la „wenn dein Arzt das sagt, mach es“, wird so ein „wenn dein Arzt das sagt, mach es nicht“. Schon raten Patientenberater zur grundsätzlichen Skepsis.

Immer mehr Lebensbereiche werden medikalisiert. Muss das, soll das sein?

Skepsis, weil Ärzte an Zusatzleistungen verdienen, ihr Handlungsinteresse also nicht ganz klar das Patientenwohl ist. Skepsis aber auch, weil die Ausweitung der Behandlungszone immer größere Bereiche des Lebens medikalisiert. Schwangerschaft ist keine Krankheit. Eine Schwangere, die von einem zum nächsten Arzttermin hechtet, um dort in Apparate geschoben zu werden, wird dadurch nach Ansicht von Experten auch von einem natürlichen Vorgang völlig entfremdet. Was kaum in ihrem Sinne sein kann, ist aber dennoch so weit zur Regel geworden, dass die Frage an die Schwangere hierzulande weniger ist: Warum machst du diese zusätzlichen Untersuchungen? Sondern: Warum machst du diese zusätzlichen Untersuchungen nicht? Der Vorwurf der Nachlässigkeit, wenn nicht Fahrlässigkeit, ist unüberhörbar. Und er ist falsch. In den allermeisten Fällen ist „abwartendes Verhalten“ das richtige. Das gilt für die ohnehin nicht kranken Schwangeren wie auch für viele andere Menschen, die eine Arztpraxis tief verunsichert verlassen. Weil sie statt einer Gesundheitsberatung eine Liste mit möglichen zusätzlichen Behandlungsmethoden erhalten haben, die sie nicht bewerten können.

Hilfe in so einer Situation könnte ein Anruf bei der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) bieten. Die gibt es seit 15 Jahren, aber wer weiß, wie lange noch. Die UPD soll aufgelöst und die 65 Millionen Euro, die der Bundestag dafür bereitstellt, sollen an das private Unternehmen Sanvartis vergeben werden, laut Eigenwerbung „der Spezialist für medizinische Kommunikation“. Dass die Unabhängigkeit diesen Wechsel überlebt, kann man nur hoffen – wissen leider nicht.

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