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Gewalt im Berliner Nahverkehr: U-Bahnhöfe werden zu regelfreien Räumen

Videoaufnahmen der letzten Tage suggerieren, dass man sich auf U-Bahnhöfen jenseits der Berufsverkehrszeiten nicht mehr sicher fühlen kann. Das fügt sich zum Eindruck einer mehr und mehr verwahrlosten Berliner Infrastruktur.

Vier Jugendliche prügeln und treten einen Mann fast tot – die Polizei wertet Videoaufnahmen von einem Berliner U-Bahnhof aus, um die Schläger zu finden. Ein paar Tage später bilden die Videokameras in einem anderen Bahnhof andere Schläger ab, wie sie einen Obdachlosen niedermachen. Ähnliche Aufnahmen gibt es aus München und anderen Städten. Die grobkörnigen Schwarz-Weiß-Streifen dokumentieren so etwas wie Rohheitsexzesse im Alltag des öffentlichen Nahverkehrs: Man bekommt sie nur dann zu sehen, wenn die auf ihnen festgehaltene Brutalität so außergewöhnlich und exzessiv gewesen ist, dass die Aussagen des Opfers der Polizei bei der Suche nach den Tätern nicht helfen.

Die Aufnahmen dieser unterirdischen Großräume suggerieren noch etwas anderes. Die Gefahr, dass man in der U-Bahn großen Ärger bekommt, ist offenbar gar nicht so klein. ÖPNV-Verteidiger werden jetzt mit Statistiken wedeln und sagen: Auf soundso viel hunderttausend gefahrene Kilometer und soundso viele hunderttausend beförderte Passagiere kommt genau eine Gewalttat. Sie werden mit Beispielen von Gewaltorgien auf offener Straße kommen. Was die ÖPNV-Verteidiger sagen, ist nicht falsch, geht aber am Problem vorbei.

Der Nahverkehr hat mehr als einen Ruf zu verlieren. Dass man sich auf U-Bahnhöfen jenseits der Berufsverkehrszeiten nicht mehr sicher fühlen kann, mag man verdrängen. Aber es fügt sich in Berlin zum Eindruck einer mehr und mehr verwahrlosten städtischen Infrastruktur. Der Polizeipräsident verweist darauf, dass die Aufklärungsquote bei Rohheitsdelikten nur ein paar Prozentpunkte unter der von Hamburg liege. Er könnte den erfolgreichen Umgang mit jugendlichen Intensivtätern erwähnen. Mag alles sein. Doch mit dem Motto: „Wir kriegen Euch!“ ist es wie mit den Videokameras in den Bahnhöfen: Sie schrecken keinen Gewaltfreak von irgendwelchen Untaten ab.

Niemand glaubt, dass die unter Politikern im Wahljahr beliebte Forderung „Tausend Polizisten mehr!“ jede Verwahrlosungstendenz stoppt. Doch traf die böse alte „Broken-Windows-Theorie“, nach der leichte Regelmissachtungen automatisch schwere nach sich ziehen, nicht bloß auf New York in dessen Arm-aber-sexy-Zeiten zu. Sie gilt auch für Berlin. Hier ist es üblich, senatlicherseits alles zu ignorieren, was Spießer und brave Bürger für Ordnungsprobleme halten. Die Polizei ist so schlankgespart worden, dass sie für niedrigschwellige Reaktionen auf Regelmissachtung nicht mehr infrage kommt. So werden öffentliche zu regelfreien Räumen.

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