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Berlin Mitte, die Friedrichstraße war zwischen Leipziger Straße und Französische Straße für PKW gesperrt und nur für Fußgänger und Radfahrer passierbar.

© Foto: Paul Zinken/dpa

Die Friedrichstraße hatte nie eine Chance: Berlin sollte dem Verwaltungsgericht dankbar sein

Ku’damm und Tauentzien ziehen die Leute an. Die Einkaufsmeile im Osten braucht ein stadtplanerisches Konzept – kein politisches Statement zur Verkehrswende.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Mit keiner Straße im früheren Ostteil Berlins haben sich so viele Hoffnungen und Illusionen verbunden wie mit der Friedrichstraße. Investoren glaubten, hier eine Goldgrube entdeckt zu haben, und sammelten Kapital von Gutgläubigen. Kapital, das in Blockbauten investiert wurde, deren Geschäfte sich, von außen kaum erkennbar, nach innen in Passagen öffneten, an denen sich teure Geschäfte aneinanderreihten, die wiederum auf vermögende Kundschaft warteten.

Kundschaft, die es aber leider nie gab. Berlin war vor 25 Jahren eine arme Stadt und ist auch heute noch nicht mit Wohlstand gesegnet. Die reiche Klientel aber, die, als Touristen unterwegs, hier gelockt werden sollte – die kam einfach nicht. Und wenn sie in Berlin landete, dann nicht in der Friedrichstraße, sondern am Kurfürstendamm und in der Tauentzienstraße.

Kein Platz, keine Bäume, monoton zugebaut

Die Friedrichstraße hatte nie eine Chance, ein zweiter Anziehungspunkt wie diese beiden Boulevards im Westteil der Stadt zu werden. Sie ist weder so breit noch so großzügig und von Bäumen gesäumt wie der Kurfürstendamm; und auch nicht so vielfältig im Angebot wie der Tauentzien, dessen Weite nicht durch monotone Betonfassaden zugemauert wird. Hier wie dort gibt es Trottoirs zum Flanieren. Die Friedrichstraße hat keine Ausstrahlung – das festzuhalten ist kein Ausdruck Westberliner Arroganz, sondern notwendige Erkenntnis.

Wenn es also schon keine Straße zum Bummeln ist, scheint die Umwidmung zur Fußgängerzone kurzsichtig, zumal die passierenden Radfahrer eher be- als entschleunigend wirken. Dass zahlreiche Händler die Schließung ihrer Geschäfte mit dem Ausbleiben zahlungskräftiger motorisierter Kundschaft erklären, mag ein Vorwand angesichts der Auswirkungen von Corona sein – aber warum hat es nicht längst eine umfassende Untersuchung des Konsumentenverhaltens in diesem Quartier gegeben?

Eine solche Expertise hätte weit über die Friedrichstraße hinaus das gesamte Areal zwischen der Wilhelmstraße im Westen und der Breite Straße im Osten, dem Boulevard Unter den Linden im Norden und der Leipziger Straße im Süden in den Fokus nehmen müssen. Wer hält sich hier warum auf, wie verändern sich die Einwohnerstruktur und das Angebot an Arbeitsplätzen?

Wer kauft hier ein, wer passiert die Französische Straße oder die Charlottenstraße? Über die Umgestaltung des Gendarmenmarktes liegen endlich Erkenntnisse vor, aber welche Perspektiven sieht die Landesregierung überhaupt für dieses Herzstück Berlins?

Die Berliner und Berlinerinnen sollten dem Verwaltungsgericht dankbar sein. Dankbar dafür, dass es in der Friedrichstraße ein politisches Experiment stoppte, das schon von der Versuchsanordnung her schlampig und im Blick auf mögliche Folgen unbedacht war.

Die Sperrung war ein rein politisches Zeichen für die Verkehrswende.

Gerd Appenzeller

Denn die damalige grüne Verkehrssenatorin Regine Günther hatte 2020 die Sperrung der Friedrichstraße für den Autoverkehr nicht etwa betrieben, weil es Belege für die Notwendigkeit eines solche tiefen Einschnitts in das Verkehrsgeschehen an dieser Stelle gegeben hätte. Nein, sie wollte ein demonstratives politisches Zeichen für die Verkehrswende setzen. Die möglichen Auswirkungen auf den Handel und die Geschäfte in der Friedrichstraße waren nicht geprüft worden.

Wenn Verkehrssenatorin Bettina Jarasch nun auf die Möglichkeit verzichtet, gegen die Gerichtsentscheidung Rechtsmittel einzulegen, handelt sie klug. Sie erlaubt, die Verkehrssituation in diesem Kerngebiet der Innenstadt sorgfältig und ohne Zeitdruck analysieren zu lassen.

Vielleicht steht am Ende eines solchen Abwägungsprozesses ein neuerliches Verbot des Autoverkehrs in der Friedrichstraße zwischen Leipziger und Französischer Straße. Als isolierte Maßnahme käme es aber mit Sicherheit nicht.

Einfach mal mit leicht pathetischer Geste eine Straße autofrei zu erklären, ist eine politische Fingerübung. Die wahre Aufgabe ist die Zukunftsplanung für diese Mitte Berlins.

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