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Christian Wulff

© dpa

Glosse: Bundespräsidentenwahl: Das Win-Win-Wunder

Die Lösung für Christian Wulff: Aus tiefem Respekt vor dem Bürgerrechtler, dem Älteren, dem Überparteilichen, dem Pastor und Ost-Kandidaten, aus Hingabe an die Bevölkerung, die diesen nunmal liebe und wolle, holt er seinen Hut aus dem Ring. Glückauf, Herr Gauck!

Von Caroline Fetscher

Alles begann mit einem wilden Traum. In Schweiß und Schreck war der Kandidat aus seinem Alp erwacht, zwei Tage vor der großen Kür des großen Präsidenten. Liebling, wir waren im Schloss! flüsterte der alarmierte Mann seiner Gattin zu. In meinem Traum - wir waren im Bellevue! Und weißt du was? Er bibberte. Draußen haben sie in Chören „Gauck! Gauck!“ gerufen. Laut! Sogar der Hund hat nicht „wuff, wuff“ gebellt, nichtmal „wau, wau“, sondern „Gauck, Gauck!“ Die Enten auf unserem Schlossteich schnatterten „Gauckgauck“, und die Dienerschaft - unsere Diener! - begrüßten mich aus Versehen mit „Guten Morgen, Präsident Gauck!“ Aus dem Dachstuhl aber heulte ein unsichtbares Schlossgespenst die Worte: „Du gehörst nicht hierheeer, oh Christian, oh Wulff! Noch nicht hiiiierheeeeer!“ Dieses Echo, sagte er fröstelnd, man hat das überall im Schloss gehört.

Dass es sich beim Nachtmahr ihres Gemahls um ein starkes Zeichen handelte, ein untrügliches, dieses Gefühl ergriff auch die Ehefrau. Selten hatte sie den von Haus aus Gefassten derart aufgewühlt erlebt. Bis zum Morgengrauen beriet das Paar, und fasste einen genialen Plan. Früh, gegen neun Uhr, stellte sich der Kandidat am Morgen einer Meute von Medienwölfen. Feierlich verkündete er: Aus tiefem Respekt vor dem Bürgerrechtler, dem Älteren, dem Überparteilichen, dem Pastor und Ost-Kandidaten, aus Hingabe an die Bevölkerung, die diesen nunmal liebe und wolle, hole er, der Wulff, seinen Hut aus dem Ring. Glückauf, Herr Gauck! beendete er strahlend seine Rede.

Natürlich war die Sensation perfekt. Welche Größe, welche Reife hatte Wulff bewiesen, wer hätte ihm das zugetraut? Nein, dass dieses Sommermärchen wahr werden durfte, ja man rang nach Atem und vergoldete den Wulffschen Namen in großen Lettern von BILD bis taz. Auch auf die politische Bühne wirkten Wulffs Worte wie ein kathartisches Gewitter. Zwar blieb der Kanzlerin, einige Minuten lang, der Mund offen stehen. Zwar hatte der Vizekanzler urplötzlich einen Termin auf den Seychellen, und aus Bayern stiegen, wie Rauchwolken, ein paar weißblaue Fragzeichen gen Himmel. Bald jedoch waren sich alle Schwarzgelben einig, dass sie das Ganze in den vergangenen Tagen „gründlich bedacht“ und „lange abgesprochen“ hatten.

So ging denn die Sache ihren Gang. Erleichterte Wahlmänner und Wahlfrauen durften ihrem Gewissen folgen. Gauck kam ins Amt, in das er gehörte. Die von der Fußballerei enttäuschte Bevölkerung aber hatte nun gleich zwei neue Helden auf einmal. Kaum war ihr gewünschter Präsident unter Dach und Fach, sprach man schon viel mehr von der wunderbaren Bescheidenheit, der politischen Brillanz des unvergleichlichen Wulff, als vom neuen Bundespräsidenten. Mit dem hatte ja jetzt alles seine Ordnung. Doch einer wie Wulff, mit seinem Talent, seiner Persönlichkeit – was würde nun aus ihm? Als schlichter Landesfürst schien der, zu Höherem berufen, glatt verschwendet. So kam es im deutschen Land vom Gauck-Wunder zum Wulff-Wunder, zu einem wahren Win-Win-Wunder, wie es die Welt hier noch nie erfahren hatte. Kaum eine Talkshow mehr ohne Wulff live. Wulffs Stimme im Radio, Wulff hier, Wulff dort. Es war durch nichts zu bremsen. - Und wenn er nicht gestorben ist, liebe Kinder, dann regiert er noch heute. Vielleicht, wer weiß, sogar das Land.

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