zum Hauptinhalt
Am 13. Mai entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Suchmaschine Google unter bestimmten Umständen den Zugang zu Daten schließen muss.

© dpa

Google und das Recht auf Vergessen: Das Internet ist keine objektive Quelle

Datenschutz ist die einzige Chance, die digitale Identität zu schützen, die jeder Netznutzer heute hat

Vordigital ist gleich dumm, alt und schlecht. Digital ist gut. Diese ebenso schlichte wie zukunftsträchtige Überzeugung treibt noch immer Horden von Meinungsmachern und Meinungshabern, wenn Streitereien über das Netz und seine Möglichkeiten zu klären sind – und erst recht, wenn eine Netzmacht wie Google mit einer Einrichtung wie dem Europäischen Gerichtshof aneinandergerät. Jüngst hat das Gericht – jedenfalls nach Meinung der Netzgläubigen – das „Recht auf Information“ beschädigt, was sich in manchem Kommentar zum Anti-Google-Urteil liest wie ein juristischer Anschlag auf das angeblich erste und wichtigste aller Menschenrechte.

Tatsächlich stärkt das Urteil weniger ein Recht auf das Vergessen(machen) lange zurückliegenden Fehlverhaltens, als dass es den dringend notwendigen Streit um Persönlichkeitsschutz befördert. Denn was heißt „Recht auf Information“ à la Google? Dass wir uns einbilden, auf einen Blick über einen Menschen wesentliche Informationen zu erlangen – auch solche, die er uns vielleicht vorenthält, während wir mit ihm sprechen  und dabei schlau unser Smartphone konsultieren.

Eine gefährliche Einbildung: Weil sie uns suggeriert, Google würde uns ein (fast) objektives Persönlichkeitsbild verschaffen: alles da, von seiner Facebook-Selbstdarstellung bis zu einer fiesen alten Geschichte aus der Schul- oder Unizeit, die er meinte, uns verschweigen zu können. Und wenn diese letzte Information sich später als Irrtum erwiesen hat? Das könnte ein Detail aus dem Leben eines Menschen sein, das nicht weniger wichtig ist als die Erinnerung an eine 15 Jahre zurückliegende Zwangsvollstreckung.

Wer harte, belastbare, nachprüfbare Informationen zum Beispiel über einen künftigen Geschäftspartner braucht, sollte sich dessen Bücher zeigen lassen, dessen Vita studieren und mal gucken, was sonst noch so zu finden ist. Die Internetperformance ist nur eine Quelle – und keine objektive. Doch in einer Zeit, in der Partyfotos ohne Zahl im Netz flottieren und eine neue Art von Sadismus im Umgang mit Bildern von ehemaligen Geliebten sich entwickelt hat, kann man über Persönlichkeitsschutz nicht intensiv genug streiten. Nichts anderes ist Datenschutz.

Das erstrittene Recht, den Zugang zu bestimmten Informationen zu erschweren, mag heute manchem völlig gleich sein – Exhibitionisten jeder Spielart haben mit dem Netz ganz neue Möglichkeiten. Datenschutz aber ist die einzige Chance, die digitale Identität zu schützen, die jeder Netznutzer heute hat.

Zur Startseite