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Meinung: Gott im Parlament

Auch Politiker suchen den Rat der Seelsorger – nicht nur zur Weihnacht

An der Nahtstelle zwischen Politik und Kirche werde ich als Politikerseelsorger oft gefragt, ob denn Politiker, Journalisten und Lobbyisten auch zur Beichte gehen. Wahrscheinlich vermutet man bei ihnen ein besonders hohes Beichtpotenzial. Wegen des Beichtgeheimnisses darf ich diese Frage nicht konkret beantworten. Aber ich kann wohl so viel sagen: Da die in der Politik Tätigen einen Querschnitt unserer Bevölkerung bilden, ist ihr Verhalten dem aller anderen in unserem Land sehr ähnlich – im Guten wie im Bösen. Es wird nicht mehr und nicht weniger gebeichtet als sonst auch, aber es gibt ein großes Interesse an Austausch und seelsorglicher Begleitung – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Zu Prälat Reimers und mir – als Bevollmächtigte der evangelischen und katholischen Kirchen am Sitz der Bundesregierung – kommen nicht nur Menschen mit starker kirchlicher Bindung. Viele suchen das persönliche Gespräch in Alltagssorgen, bei Krankheit oder Trauer. Oftmals finden gerade die den Weg zu uns, die sonst keinen Kontakt zu ihrem Gemeindepfarrer haben, die sich über Jahre von der Kirche entfernt haben, und manchmal sogar die, die aus ihrer Kirche ausgetreten sind. Wir sprechen über familiäre Probleme wie über Gewissensentscheidungen, über die eigene Karriere wie über das Aussteigen aus der Politik, über den öffentlichen Druck, dem viele ausgesetzt sind, wie über Versagen oder Anfeindungen. Vertraulichkeit ist immer garantiert. Quer durch alle politischen Lager sind wir wie jeder Pfarrer in seiner Gemeinde für alle da.

So laden wir zu Gottesdienst und Gebet oder zu persönlichen Gesprächen ein. Da sind das Bekenntnis, der eigene Standpunkt und Wahrhaftigkeit gefragt. Häufig ergeben sich engagierte Debatten über Gott und die Welt auch am Rande der zahlreichen Empfänge, im Bundestag, bei einem Glas Wein zu Hause – und sogar auf Partys. Bei uns Politikerseelsorgern gilt die Regel, dass über alles offen gesprochen werden kann. Solche Glaubensgespräche zeigen, dass Politiker oft viel ernsthafter und hintergründiger sind, als das von der medialen Öffentlichkeit gezeichnete Bild vermuten lässt.

Dafür stehen übrigens auch verschiedene Kreise von Parlamentariern, die sich auf eigene Initiative hin regelmäßig entweder zu Andachten in der Bundestagskapelle oder zu Gesprächen über eine Stelle der Bibel treffen. Hier stärken sich die Teilnehmenden gegenseitig – über alle Parteigrenzen hinweg. Viele geben bei diesen Gelegenheiten auch Persönliches preis, und so hat manche Schriftauslegung sehr berührt.

Viele Politiker bekennen sich auch öffentlich zu ihrem Glauben. Wie in der Politikerbibel, in der einige Parlamentarier eine Schriftstelle ausgesucht und interpretiert haben – oder während Kirchentagen, auf denen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nicht mehr wegzudenken sind. Es erstaunt immer wieder, wie viele Politiker in allen Parteien im christlichen Glauben ein entscheidendes Leitmotiv für das eigene Handeln sehen. Ein Sozialdemokrat schreibt in der Politikerbibel sogar, dass ein Blick in die Bibel viele Gesetze und Regeln entbehrlich machen würde. Ein Christdemokrat bekennt, dass sich im christlichen Glauben für ihn die große Sehnsucht der Menschheit nach Frieden und Geborgenheit, nach Sinn und Halt erfüllt.

Es ist diese Sehnsucht, die uns auch im Weihnachtsfest immer wieder berührt, dem Fest, an dem Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Für uns Christen ist das ein Zeichen der unendlichen Liebe Gottes zu uns Menschen. Die Erfahrung, von Gott geliebt zu sein, gibt vielen Menschen gerade in schwierigen Situationen Halt und Kraft. „Die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält. Ohne sie wäre unser Leben arm, ziellos und ohne Perspektive.“ So zuversichtlich formulierte es Angela Merkel in der Politikerbibel.

Was unsere Politiker da über den Glauben sagen, gilt nicht nur zur Weihnacht.

Der Autor, Prälat Jüsten, leitet das Verbindungsbüro der katholischen Kirche zur Bundespolitik.

Karl Jüsten

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