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Meinung: Gottbesessen – gottvergessen

Bilden Ursula von der Leyen und Klaus Wowereit die Fronten eines neuen Kulturkampfs?

Ursula von der Leyen veranstaltet einen exklusiv christlichen Erziehungsgipfel. Klaus Wowereit marginalisiert den Religionsunterricht an den Berliner Schulen. Sie will das Christentum ins Zentrum drücken, er will es an den Rand drängen. Beide markieren die jeweiligen Extrempositionen im Verhältnis von Staat und Religion. Ist das der Beginn eines neuen Kulturkampfes?

Jedenfalls sind die Dinge im Fluss. Jahrzehntelang herrschte Ruhe an der Front. Die beiden christlichen Kirchen und die Politik hatten sich im halblaizistischen Deutschland gut eingerichtet. Institutionell war man verwoben, ansonsten hielt man Abstand, freundliche Gleichgültigkeit bestimmte die Atmosphäre. Die Muslime wurden nach Kräften ignoriert, während der antireligiöse Eifer vieler Atheisten sich allmählich legte.

So ging das bis vor wenigen Jahren. Doch plötzlich wurden die legitimen Ansprüche der in Deutschland lebenden Muslime unüberhörbar, und der islamistische Terror bombte sich in die Öffentlichkeit. Gleichzeitig spürte die deutsche Mehrheitsgesellschaft, dass sie ein Problem mit den Werten hat, und besann sich vorsichtig auf das Christentum zurück. Im vergangenen Jahr dann zeigte sich beim Papstwechsel in Rom, dass der in den 80er Jahren so verbreitete Anti-Katholizismus bloß noch eine Mode von gestern war.

Dass ausgerechnet der Regierende Bürgermeister von Berlin ein glühender Vertreter dieser Mode ist, mag für viele Berliner bedauerlich sein. Insgesamt spielt dieses Denken kaum noch eine Rolle. Weitgehend durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass der Staat, auch der weltanschaulich neutrale, ein Interesse daran hat, dass die Bürger sich religiös binden, zumindest aber Kenntnisse über Religionen besitzen und Erfahrungen mit dem Glauben machen. Das verstehen auch viele ungläubige Politiker. Oft gar nicht mal empathisch. Dass pauschale Interesse des Staates an Religion unterscheidet sich aus ihrer Sicht kaum von seinem Interesse daran, dass die Leute Eigenheime bauen oder in Vereinen tätig sind.

Ist die Gipfel-Demonstration der Familienministerin also ein adäquater und legitimer Ausdruck dieses neuen Mainstreams? Offenkundig war ihr Vorgehen taktisch ungeschickt, weil sie mit ihrer demonstrativen Exklusivität Ungläubige, Juden und Muslime in einer Ablehnungsfront vereinte. Aber es geht um mehr als Taktik. Die relative Renaissance des Christentums ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Vor allem an die ehrliche Freude an der Freiwilligkeit. Es gibt heute keinen Druck mehr, in einer Kirche zu sein. Man wird weder sozial noch kulturell oder ökonomisch zum Glauben gezwungen. Vor allem aber darf der Staat hier nur fördern – nicht fordern.

Sobald auch nur von Ferne der Eindruck entsteht, den Leuten solle ein bestimmtes Weltbild aufgenötigt werden, setzen – zu Recht – die alten Abwehrreflexe ein. Die hat sich die Gesellschaft in einer Zeit erworben, als die Kirchen noch stark genug waren, um repressiv und autoritär zu wirken. Dass sie es heute nicht mehr können, macht die Gläubigen frei, stößt die Suchenden nicht ab – und macht auch die Kirchen selber frei. Denn nur eine Gesellschaft, in der man ohne Nachteil ungläubig sein kann, bietet die Gewähr, dass die Gläubigen glauben und nicht aus anderen Motiven so tun als ob.

Darum, wegen der fragilen Freiheitlichkeit des Religiösen, war der Auftritt von Ursula von der Leyen falsch. Und weil den Muslimen wieder signalisiert wurde, dass sie nicht dazugehören. Es stimmt natürlich, dass es nur wenige Kindergärten in islamischer Trägerschaft gibt. So wie es nur wenige islamische Theologen an den Hochschulen gibt und kaum staatlich geprüfte islamische Religionslehrer. Aber das ist ja das Problem, gerade das sollte geändert werden, wenn hier in den nächsten Jahrzehnten ein europäisch-demokratischer Islam entstehen soll. Eine ministerielle Einladungspraxis muss sich nicht nach den misslichen Zuständen und Proporzen richten, sondern danach, wo man hin will.

Klaus Wowereit ist Vergangenheit. Ursula von der Leyen so jedenfalls nicht die Zukunft. Ein Kulturkampf? Lieber nicht.

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