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Meinung: Graf Koks von der Gasanstalt

Von Gerd Appenzeller

Wer imUnrecht ist, wird gerne laut. Am Sonntag vor einer Woche hat der Bundeskanzler ja nicht zum ersten Mal phonstark den Macher rausgehängt. Als die EU den Deutschen im vergangenen Jahr ein Defizitverfahren androhte, trat Gerhard Schröder schon einmal so herrisch auf. Damals wusste er dabei die Franzosen an seiner Seite. Klar, beide Staaten hatten zum wiederholten Male die Defizitkriterien verletzt und eine zu hohe Neuverschuldung riskiert. Aber wer wagt denn da, den beiden Großen in der EU keine Extrawurst zu braten?

Das war 2004. Jetzt beginnt das letzte Viertel von 2005 und an der deutschen Tendenz zur finanziellen Großmannssucht hat sich nichts geändert. Da die Franzosen aber ihre Zahlen inzwischen besser im Griff haben, steht Hans Eichel plötzlich alleine da – und Währungskommissar Joaquín Almunia droht ihm mit einem schärferen Vorgehen. Noch streitet das Finanzministerium mit dem Statistikamt der Europäischen Union darüber, wer die roten Zahlen richtig berechnet. Aber das ist nicht mehr als ein Rückzugsgefecht. Gerhard Schröder würde diesmal auch dann kein großer Auftritt in Brüssel mehr helfen, wenn er im November noch Kanzler wäre. Aber das ist unwahrscheinlich, und so müssen die Deutschen jetzt all das in die Praxis umsetzen, was sie in der Theorie längst als Erkenntnis gewonnen haben: Subventionen abbauen und die Mehrwertsteuer erhöhen.

Das ist gewiss für eine CDU-geführte Bundesregierung kein fröhlicher Einstand. Dabei haben Roland Koch und Peer Steinbrück in einer großen Finanzkoalition schon alles aufgeschrieben. Zudem könnte eine neue Regierung in Brüssel mit jener Geduld rechnen, auf die Schröder und Eichel kaum mehr Anspruch haben, weil man an ihrer Seriosität zweifelt, wenn es um die Sanierung des Staatshaushaltes geht. Die beiden haben sich eher an einer legendären Berliner Figur orientiert, an Graf Koks von der Gasanstalt – groß und dominant im Auftreten, obwohl sich die ganze Substanz schon lange in Luft aufgelöst hat.

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