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Meinung: Grenzen der Privatheit

Am Anfang und am Ende seines Lebens ist der Mensch existenziell auf die Hilfe und auf die Liebe anderer Menschen angewiesen. Aus dem Säugling würde nie ein Kind und dann ein Erwachsener, wenn sich nicht andere, vor allem die Eltern, vielfältig um ihn kümmern würden.

Am Anfang und am Ende seines Lebens ist der Mensch existenziell auf die Hilfe und auf die Liebe anderer Menschen angewiesen. Aus dem Säugling würde nie ein Kind und dann ein Erwachsener, wenn sich nicht andere, vor allem die Eltern, vielfältig um ihn kümmern würden. Und das Leben vieler Menschen ginge qualvoll und entwürdigend zu Ende, wenn sie in ihren letzten Monaten oder Wochen nicht Zuwendung oder Liebe erführen. Eine humane Gesellschaft richtet deshalb ihre Aufmerksamkeit besonders stark auf diese beiden Lebensphasen – und nie zeigt sich diese Gesellschaft mehr von ihren dunkelsten Seiten, als da, wo sie die ganz Jungen und die ganz Alten vernachlässigt oder angesichts ihres Leides wegschaut. Das Urteil gegen die Eltern, die ihren sechsjährigen Jungen verhungern ließen, ist deshalb auch ein Urteil gegen die Gesellschaft, in der dieses unfassbare Verbrechen möglich wurde. Es geht nicht nur um die seelische Verrohung der Mutter und des Vaters von Dennis. Es geht um Jugend- und Schulämter, die sich nicht wunderten, dass ein Kind verschwindet. Es geht um eine selbstgerechte Oberbürgermeisterin, die keine Versäumnisse erkennen kann. Es geht um Nachbarn, denen das Wimmern des Kindes nicht in den Ohren gellte. Es geht in letzter Konsequenz auch um die Grenzen der Individualität, die nicht über jenen Punkt hinausreichen kann, an dem das Recht auf Privatheit in Mord umschlägt. apz

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