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Meinung: Groß denken, klein reden

Mit Paul Kirchhof ist der CDU eine Provokation geglückt – oder gar mehr?

So aufgeregt geht es zu, wenn der Fuchs in den Hühnerhof kommt. Nur dass Paul Kirchhof nichts von einem Fuchs hat, und das flügelschlagende Gegacker daher rührt, dass hier eine Gestalt in die politische Sphäre geraten ist, die nicht dem üblichen Politik-Maß entspricht. Auch geht nicht er auf Jagd, sondern die Bewohner dieses Quartiers, die diesen kapitalen Quereinsteiger als Wahlkampf-Ernstfall betrachten. Also zerren die einen an dem hünenhaften Professor mit einschlägigen Zitaten, die anderen mit dem Argument der Unerfahrenheit, die Dritten mit Rechnungen, die alle beweisen, dass der 25-Prozent-Steuersatz und die 10-Minuten-Steuererklärung vielleicht in der Theorie schön sind, aber für die Praxis nicht taugen.

Das alles mag ja auch so sein. Ob Kirchhofs Steuer-Grundsätze in der Konfrontation mit der Wirklichkeit einer hyperkomplizierten Wirtschaft und einer dito eigensinnigen Gesellschaft reüssieren oder versagen, ist tatsächlich eine offene Frage. Desgleichen kann man schon Zweifel haben, ob diese Katheder-Größe, die noch jede Versammlung durch ihren Vortrag fasziniert hat, in der Welt eines großen Ministeriums oder im zähen Dicke-Bretter-Bohren des politischen Alltags bestehen kann.

Aber so weit sind wir noch gar nicht. Das Schauspiel, das sich uns gegenwärtig bietet, ist eher als Härtetest für den so ziemlich einzigen überraschenden Gedanken in diesem Wahlkampf zu verstehen. Indem die Union es fertig gebracht hat, Kirchhof den Gremien und Tagungen, die sich um ihn reißen, weil er so kluge Sachen sagt, zu entführen und ihn auf eine politische Plattform zu hieven, ist ihr ein erfolgreicher Zug gelungen. Nun geht es darum, ob sie das Versprechen unkonventioneller Politik, die von Kirchhofs Nominierung in die Öde des Wahlkampfs strahlt, in Stimmen oder zumindest in Stimmungen umsetzen kann. Natürlich sind die politischen Gegner darauf aus, ihr diesen Erfolg abzujagen. Die „Arbeit der Zuspitzung“ (Peter Glotz), die Kirchhof für die Union leistet, soll pariert werden – indem man diese Nominierung klein redet oder rechnet oder die Unterschiede zwischen ihm und der Union so ausweitet, dass das Unternehmen Kirchhof darin versinkt.

Halten Angela Merkel und die Union diese Probe durch? Hält Paul Kirchhof es durch, ungeübt im Überleben des Schlangennests der Politik und des Medienbetriebs? Das ist eine spannende Frage. Gerhard Schröder hat auch einmal ein solches Experiment unternommen, zwei Wahlkämpfe zurück, als er den Unternehmer Jost Stollmann in die Wahlschlacht schickte. Es wurde rasch beendet. Allerdings ist Paul Kirchhof ein anderes Format: lange eine bestimmende Figur im Verfassungsgericht, ein Mann von ebenso großer Urteilsfreiheit wie Urteilskraft, eine Leuchte im gelehrten Leben dieses Landes.

Da kann man schon neugierig sein, ob sie auch die Politik erhellt. Nötig hätte sie’s ja. Den täglichen Schlagabtausch darüber, ob Kirchhof zur CDU passt oder die CDU zu ihm, ob sein Konzept mehr Gerechtigkeit schafft oder eine massive Umverteilung von unten nach oben, ob er für den Weg zurück in ein konservatives Weltbild steht oder der Union die Perspektive weist, die ihr fehlt: All das muss man in Kauf nehmen. Immerhin kann es sein, dass dieser Wahlkampf mit Kirchhofs Nominierung in seine ernsthafte Phase einbiegt.

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