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Meinung: …Großbritannien

über das Vergnügen der Armen und die Obsessionen der Mittelklasse Eine Zigarette“, sagte der britische Gesundheitsminister John Reid und löste bei wohlmeinenden Briten Entrüstung und bei hartgesottenen Rauchern begeisterte Zustimmung aus, „eine Zigarette ist oft das einzige Vergnügen, das den Armen bleibt“. Was für andere Freuden als das Rauchen habe eine 21-jährige Alleinerziehende in einem englischen Sozialblock denn.

über das Vergnügen der Armen und die Obsessionen der Mittelklasse Eine Zigarette“, sagte der britische Gesundheitsminister John Reid und löste bei wohlmeinenden Briten Entrüstung und bei hartgesottenen Rauchern begeisterte Zustimmung aus, „eine Zigarette ist oft das einzige Vergnügen, das den Armen bleibt“. Was für andere Freuden als das Rauchen habe eine 21-jährige Alleinerziehende in einem englischen Sozialblock denn. Der Kampf gegen das Rauchen sei „eine Obsession der gelehrten Mittelklasse“, sagte der scharfzüngige Schotte auf einer Parteiveranstaltung. Man diskutierte darüber, ob Labour das Rauchen in der Öffentlichkeit verbieten soll. Bis Reid vor 18 Monaten Gesundheitsminister wurde, hat er selbst 60 Stück am Tag geraucht.

Natürlich gab es empörten Widerspruch. Niemand fragte dabei, was Reids Einschätzung der Lage in den Sozialsiedlungen über sieben Jahre Labour-Sozialpolitik sagt. Ist Rauchen neben Sex, Fußballrowdytum und den freitäglichen Massenbesäufnissen wirklich das letzte Vergnügen der Working Class in Labours England? „Keineswegs, so traurig sind wir dann doch nicht“, versicherte die 24-jährige Alleinerziehende Debbie McDonnel der BBC. Andere wunderten sich, wie Reid mit so viel Nachsicht die Raucherquote bis 2010 auf 21 Prozent drücken will, wie es seine Zielvorgabe ist. „Arme haben das gleiche Recht auf Gesundheit und höhere Lebenserwartung wie die Mittelklasse“, erinnerte die Antirauchergruppe ASH.

Wirklich kritisiert wurde der Minister, weil man seine Bemerkung herablassend und bevormundend fand. Und das ist für die englische Mittelklasse fast schlimmer als Rauchen. Aber, fragte man sich dann, was ist eigentlich am herablassendsten – Reids hochmütiges Verständnis für die Schwachen oder der Drang der besserwisserischen Mittelklasse, anderen von oben herab Lebensvorschriften zu machen? Reid hat mit seiner Bemerkung nicht nur alte Klassenkampfvorurteile aufgerührt. Er hat auch die Kluft zwischen Labours sozialutopischem Drang zur Welt- und Gesellschaftsverbesserung und der legendären Toleranz des englischen laissez faire aufgedeckt. Mit ihren Geschwindigkeitskontrollen, Überwachungsanlagen und endlosen Verboten – von der Fuchsjagd bis zum Lärmen in der Nacht – manövriert sich die Labourregierung in ungemütlichen Widerspruch zu Großbritanniens freiheitsliebenden, antibürokratischen Traditionen. Vielen ist das schon lange ein Dorn im Auge. Ihnen hat Reid nun aus dem Herzen gesprochen und er tat es, wie man den schlauen Schotten kennt, mit voller Absicht.

Matthias Thibaut

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