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Große Koalition: Mutter Merkel braucht Courage

Das Gezänk der letzten Tage und Kurt Becks Schwenk ins Populär-Populistische haben Unberechenbarkeit in die große Koalition getragen und Angela Merkel zu einer Positionsbestimmung gezwungen.

Von Robert Birnbaum

Es liegt nahe, das großkoalitionäre Gezänk der letzten Tage (und das absehbar weitere der nächsten) in zoologische Kategorien einzuordnen: Imponiergehabe im Affentheater. Alle schneiden wüste Grimassen und rütteln mächtig am Gitter; zusammengesperrt bleiben sie doch und werden sich wieder beruhigen müssen. Aber der Krawall unterscheidet sich doch von den inzwischen gewohnten Szenen einer Zwangsehe. Zum ersten Mal seit langem sieht sich die Bundeskanzlerin genötigt, schon vor einem Koalitionstreffen leidlich klare Linien zu markieren. Angela Merkel hat das zwar auf ihre Weise getan – entschieden im Allgemein-Philosophischen, auf Hintertüren zum Kompromiss bedacht im Einzelnen. Aber ganz freiwillig war die Wortmeldung nicht. Der SPD-Parteitag hat die CDU-Vorsitzende zur Positionsbestimmung gezwungen.

Denn die Tage von Hamburg haben ein neues Element von Unberechenbarkeit in die große Koalition getragen. Kurt Becks Schwenk ins Populär-Populistische stellt die bisherige Rollenverteilung in Frage – pragmatische SPD erträgt tapfer ihren demoskopischen Niedergang, pragmatische Union strahlt im Glanze ihres Kanzlerinnenglücks. Diese Verteilung war für Merkel komfortabel, musste sie doch weiter nichts tun als quasi überparteilich-mütterlich die Geschicke der Republik lenken.

Wie die neue Verteilung aussehen wird, weiß noch niemand. Richtig klar werden wird das auch erst nach den ersten Landtagswahlen Anfang 2008. Deren Ergebnisse werden zeigen, ob Becks Strategie aufgeht, ob sie der SPD Punkte bringt und der Linkspartei Zulauf nimmt. Aber hinter der Anklage der Union, die SPD zerfalle in eine Regierungs- und eine Oppositionspartei, klingt bei CDU und CSU schon heute Sorge durch, dass die Rechnung des Pfälzers aufgeht. Merkel und den Ihren steckt noch der Schock des Wahlabends 2005 tief in den Knochen. Merkels erste Kanzlerinnen-Halbzeit war von dem – offenkundig ja erfolgreichen – Versuch geprägt, das Image der Marktradikalen abzustreifen, das sie damals fast den Sieg gekostet hat. Schwenkt die SPD unter Beck aber dauerhaft auf Wohlfühl-Sozialdemokratismus um, ist dieser Imagewandel in Gefahr. Merkel müsste dann nämlich noch öfter noch klarere Kante zeigen, als ihr lieb sein kann.

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