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Meinung: Großisrael wird kleiner

Und einer bewegt sich doch: Israel beschließt die einseitige Räumung des Gazastreifens

Bevor nicht der letzte Siedler Gaza verlassen und Israels Armee ihre Stellungen dort geräumt hat, wird man nicht in Jubel ausbrechen können. Und doch: Die Grundsatzentscheidung des israelischen Kabinetts, Gaza zu verlassen und vier Siedlungen in der Westbank aufzugeben, markiert eine historische Zäsur.

Noch nie hat Israel Siedlungen in den besetzten Gebieten geräumt. Dass gerade Ariel Scharon diesen Schritt vollzieht, kommt einer kleinen Revolution gleich. Denn Scharon widersetzt sich nicht nur dem Votum der eigenen Partei und gefährdet seine Koalition. Er fügt auch der Siedlerbewegung einen wichtigen Schlag zu, die er selbst mit gegründet hat. So besteht die Hoffnung, dass die Räumung der ersten Siedlungen in Gaza eine Dynamik entfachen könnte, die die Aufgabe weiterer Siedlungen nach sich zieht.

So mutig die Initiative ist, sie bedeutet nicht, dass Scharon auf seine alten Tage zum Palästinenserfreund wird. Sein Rückzugsplan ist eher eine politisch-geografische Grenzbereinigung. Nachdem die Road Map nicht vorankam, die Scharon und Jassir Arafat in trauter Eintracht torpediert hatten, musste Israels Premier seinen Bürgern eine Alternative präsentieren. Und da bot sich der Gazaplan an. Weil Israel damit 1,3 Millionen Palästinenser los wird und verhindert, dass die Zahl der Palästinenser in Israel und in den besetzten Gebieten größer wird als die der jüdischen Israelis. Weil Scharon so den Druck aus dem In- und Ausland abfängt, Zugeständnisse zu machen. Und weil der Sicherheitsaufwand, den Israels Armee betreiben muss, um ein paar radikale Siedler zu schützen, in Gaza besonders absurd ist, zumal der dicht bevölkerte Landstrich am Mittelmeer als „Philisterland“ nicht dieselbe ideologische Bedeutung hat wie das biblische Judäa und Samaria, die heutige Westbank.

Scharon glaubt, den Traum von Großisrael nicht ganz aufgeben zu müssen, wenn dieses Israel etwas kleiner wird. Sein Minimalziel: Dass wenigstens die knapp 13 Prozent der besetzten Gebiete zu Israel gehören werden, die nach dem letzten Stand der Planung auf der israelischen Seite des Sicherheitszauns liegen und in denen drei Viertel der Westbanksiedler leben. Das ist eine Position, die kaum zu halten sein wird, wenn es zu Verhandlungen über das Ende des Konflikts kommt. Jetzt ist aber wichtig, dass wenigstens die Gebiete tatsächlich geräumt werden, die Scharons Plan vorsieht.

Natürlich wäre ein mit den Palästinensern ausgehandelter Rückzug besser als eine einseitige Entscheidung Israels. Nur dann hätte Scharon sich abhängig gemacht von einem notorisch unzuverlässigen Arafat. Dessen Blockade zu umgehen ist einer der Vorzüge des Gazaplans. Nun soll Ägypten die Grenze zum Gazastreifen sichern und beim Aufbau von palästinensischen Sicherheitsstrukturen helfen. Und so hält die Geschichte des Gazaplans eine wichtige Botschaft für die palästinensische Führung parat: Wer seine Hausaufgaben nicht macht, läuft Gefahr, Politik nur erleiden zu müssen statt mitgestalten zu können.

Die Palästinenser haben jetzt einige Monate Zeit, sich auf Israels Rückzug vorzubereiten. Nur wenn es ihnen gelingt, danach für Ordnung in Gaza zu sorgen, können sie ernsthaft verlangen, in einem nächsten Schritt mehr Gebiete von Israel zu bekommen. Dann, wenn vielleicht ein anderer als Scharon in Israel Premierminister sein wird.

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