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Jürgen Trittin, Karin Göring Eckardt, Cem Özdemir und Claudia Roth

© dpa

Grüne und FDP: Das große Abräumen hat gerade erst begonnen

Mit dem großen Köpferollen bei FDP und Grünen erleben wir eine Zeitenwende. Alle die jetzt gehen haben das Deutschland der vergangenen Jahrzehnte geprägt. Doch jeder Abschied öffnet ein Tor zu neuen Möglichkeiten.

Von Antje Sirleschtov

Atemberaubend! Am Montag Guido Westerwelle, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die gesamte FDP. Dazu Claudia Roth. Nun Renate Künast und am Ende auch er: Jürgen Trittin, das Gesicht der Grünen dieser Zeit. So langweilig, so fade der Wahlkampf manchem erschien, so massiv sind seine Konsequenzen. Nicht bei den Großen, die mit Kanzlerin und Kandidat im Zentrum standen – bei den anderen, den Kleinen. Ausgerechnet bei denen, die für Farbe, Pluralität und Visionen im Einheitsbrei der Volksparteien stehen. Und die versagt haben. Nun kommt das große Auf- und Abräumen, im Schnelldurchgang. Kein Stein auf dem anderen. Was stürzt da gerade zusammen?

Zunächst einmal ein Stück politischer Geschichte dieser Republik. Guidos Schuhe mit der 18 auf der Sohle, „Mehr Netto vom Brutto“. Oder Trittin, der Mann, der einst den Bossen der Stromkonzerne den Atomkonsens abpresste, der Erfinder des Dosenpfands. Ach, was wäre diese Medienrepublik ohne Claudia Roths mitunter schrille Auftritte.

Die da jetzt gehen, aus dem Bundestag oder auch nur in die hinteren Reihen, sie alle haben das Deutschland der vergangenen Jahrzehnte geprägt. Roth, Trittin, Westerwelle und natürlich auch die Bürgerrechtskämpferin Leutheusser-Schnarrenberger: charismatische Figuren voll politischer Leidenschaft, Fixpunkte einer Gesellschaft, die nach Freiheit, Unabhängigkeit und Rechten für Minderheiten strebte. Nicht zu vergessen in diesen Tagen, wo jeder die große Koalition für ausgemacht hält: Die jetzt gehen, von Trittin bis Westerwelle, waren streitbare Kämpfer für ihre Überzeugungen, bis hin zum Dogmatismus. Und damit Garanten im Streit wider den gesellschaftlichen Mainstream, das scheinbar „Alternativlose“. Sie waren wichtig.

Keine Frage: Wir erleben gerade eine Zeitenwende. Was daraus folgt, liegt noch zu sehr im Nebel der aktuellen Entwicklung, bei der FDP genauso wie bei den Grünen. Niemand sollte sich täuschen: Ein smarter Christian Lindner an der Spitze rettet noch keine FDP vor dem Totaluntergang. Dafür ist die Partei zu stark in ihrem Selbstverständnis erschüttert, zu uneins in ihren Überzeugungen vom Liberalismus, und letztlich ist noch zu unklar, wie viele Euro-Skeptiker unter den FDP-Anhängern zur AfD abmarschieren werden. Auch der Traum vom großen schwarz-grünen Projekt ist mit Trittins Abgang noch nicht in greifbare Realität gerückt.

Der Oberlinke war und ist nicht das einzige Hindernis für eine Koalition mit den Unionsparteien CDU und – in diesem Fall vor allem – CSU. Schwarz-Grün fehlt nicht nur die Legitimation der Wähler; dem Bündnis steht auch die nicht vorhandene Regierungsperspektive in der föderalen politischen Struktur entgegen. Wie sollen Euro-Rettung, Föderalismusreform, Schuldenabbau und – als besondere Herausforderung – die Energiewende gelingen, wenn sich erst Union und Grüne im Bundestag auf einen Kompromiss einigen und diesen dann gegen die sozialdemokratische Länderübermacht verteidigen müssen? Außerdem ist die Basis der Grünen mit breiter Überzeugung in einen Wahlkampf gegangen, an dessen Ende ein Bündnis mit der SPD stehen sollte. Um eine solche Partei nun in eine Koalition mit Volker Kauder und Horst Seehofer zu führen, bräuchte es starke Personen mit großer Überzeugungsfähigkeit an der Spitze.

Am Ende bleibt die Hoffnung, dass jeder Abschied ein Tor zu neuen Möglichkeiten öffnet. Banal? Nur wahr.

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