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Angela Merkel und Horst Seehofer beim ersten Sondierungsgespräch zwischen den Grünen und der Union.

© dpa

Grüne und Union sondieren erneut: Verhandlungen ohne Mut und Orientierung

Nun sondieren die Grünen erneut mit der Union – aber wozu? Das wissen sie selbst nicht. Dem Größenwahn von einst folgt die Konfusion. Und die reicht bis zur Schnapsidee, sich den Linken zu öffnen.

Das Gegenteil von Überschätzung ist nicht Bescheidenheit, sondern Selbstbewusstsein. Wer sich zu wichtig nimmt, leidet an Niederlagen, fühlt sich durch sie gekränkt. Wer seine Kraft und seine Möglichkeiten realistisch einschätzt, steckt auch Rückschläge weg. Von daher müssen die Grünen vor der Bundestagswahl von einer extremen Form von Selbstüberhöhung – man könnte fast sagen: Größenwahn – befallen gewesen sein. Denn anders ist ihr Verhalten nach der Wahl nicht zu erklären.

Wochen- und monatelang war vor dem 22. September klar, dass es für Rot-Grün nicht reichen wird. Angela Merkel stürzen zu können war stets eine Illusion. In der heißen Phase des Wahlkampfs lagen die Grünen in den Umfragen zwischen 9 und 13 Prozent. Am Ende waren es 8,4 Prozent, das ist immerhin das drittbeste Ergebnis ihrer Parteigeschichte. Nicht so viel zwar, wie man gehofft hatte, aber angesichts von Steuererhöhungs- und Pädophiliedebatte keine Katastrophe. Fünf Sitze weniger im Parlament als 2009 – das ist, etwa im Vergleich zur Linkspartei, die 12 Mandate einbüßte, ein durchaus beachtliches Resultat. Von FDP (ganz raus) und SPD (zweitschlechtestes Ergebnis jemals) nun wahrlich zu schweigen.

Doch während die Linken – Deutschlands ewige parlamentarische Opposition – triumphal tönen, als sei soeben durch sie die Deutsche Bank verstaatlicht worden, zerfleischen sich die Grünen mit leidenschaftlichem Masochismus. Als ginge es darum, einen Wettlauf des Schuldaufsichnehmens zu gewinnen, folgt Rücktritt auf Rücktritt, Neuwahl auf Neuwahl. Politik und Panik paaren sich. Was daraus entsteht, ist nicht eben schön anzusehen.

Ein spannendes Experiment

Man blicke besonders auf die Sondierungsgespräche mit CDU und CSU, die an diesem Dienstag in ihre wohl letzte Runde gehen. Wüssten die Grünen, was sie wollen, oder hätten sie bloß eine Ahnung davon, könnten sie taktisch durchaus klug vorgehen. Dann wäre ein grundsätzliches Ja zu Schwarz-Grün begleitet vom Ausmalen demokratischer Schreckensszenarien für den Fall einer großen Koalition. Die Sozen wären verärgert, Handlungs- und Koalitionsspielräume erweitert. Die Medien überschlügen sich vor Begeisterung, als ein spannendes Experiment würde es allseits gefeiert.

Ein Nein zu Schwarz-Grün wiederum ließe sich ebenfalls prächtig inszenieren. Mit viel Getöse und Radau. Da wäre dann nicht mehr kuschelnd von „divergierenden Inhalten“ und „Unterschieden im Kleingedruckten“ die Rede, sondern der Sondierungspartner würde nach dem Gespräch frontal angegangen, beispielsweise durch die akute Möglichkeit, der Union eine zutiefst menschenverachtende Flüchtlings- und Asylpolitik vorzuwerfen (ob der Vorwurf stimmt, ist diesbezüglich irrelevant). Humanität versus Konservativismus: Auf dieser Klaviatur muss ein Grüner eigentlich mit verbundenen Augen spielen können.

Der Gipfel des Mutes

Stattdessen Verzagtheit, Trübsinn, Selbstzerfleischung. Der Gipfel des Mutes scheint schon dann erreicht, wenn ein Grüner fordert, dass sich seine Partei gegenüber den Linken öffnet. Dabei weiß doch jeder, warum das potenziell noch konfliktträchtiger sein könnte als ein Bündnis mit der Union. Die Grünen traten einst das Erbe der DDR-Dissidenten und Bürgerrechtler an. Deshalb benannten sie sich nach der Wende um in „Bündnis 90 – Die Grünen“. Wenn dieser Name Programm bleiben soll, verbietet sich allein aus Respekt vor den Opfern ein Pakt mit den Nachfolgern der Peiniger. Jedenfalls jetzt, jedenfalls noch. Im Geiste den real existierenden Sozialismus besiegt haben, aber mit real existierenden Sozialisten regieren zu wollen, wäre bigott.

Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sagte, ihre Partei werde nach der zweiten Sondierungsrunde die Gespräche bewerten und eine Entscheidung treffen, ob sie Schwarz-Grün eine Chance gibt. Falls nicht, wäre das ein sang- und klangloses Ende. Leider ist kein Grüner da, der einfach mal sagt, was ist, war und werden soll mit seiner Partei. Dabei könnte das Los der Liberalen auch deren Gegenstück, die Grünen, ereilen.

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