zum Hauptinhalt

Grüne Woche: Schuldgefühle auf der Schlemmermeile

Die Grüne Woche ist ein politischer Karneval. Früher ging es um Fortschritt: ein neuer Traktor, eine Maschine, die Eier ein Jahr lang frisch hält, eine neue Kettensäge. Heute geht’s um Risikominimierung.

"Gestern war ein Tag, Herr Boyes! Ich hatte ein tolles Supermodel im Auto. Ein echter Augenschmaus." Der Taxifahrer war aufgeregt. Ich saß vorn, ausnahmsweise demokratisch, und konnte sehen, wie die Vene auf seiner Stirn pulsierte. Nichts erregt einen Berliner Taxifahrer so sehr wie die Fashion Week.

"Lange Beene bis hierhin. Man konnte alles sehen. Echt alles!" Dann schüttelte er den Kopf und begann einen verlogenen Vortrag darüber, dass die jungen Frauen heute sich zurückhaltender anziehen sollten, und warm, damit sie ihre Eierstöcke nicht beschädigen. Ich starrte aus dem Fenster. Vielleicht sollte ich der S-Bahn doch noch mal eine Chance geben.

"Ich sehe, Sie sind eher ein Grüne-Woche-Mensch, Herr Boyes. Else, die Kuh, und so." Und wo ein Taxifahrer recht hat, da hat er recht. Nicht, dass die Grenze zwischen Fashion-Weekers und Grüne-Wochnern klar verlaufen würde, schließlich ist Bio-Mode ja gerade der letzte Schrei. Aber die einzigen langen Beine bei der Grünen Woche gehören zu den Wettbewerbskühen, die lassen einen Taxifahrer kalt.

Ich gehe natürlich wegen der Schlemmermeile hin. Der beste Weg, Afghanistan zu verstehen, läuft doch über einen landestypischen Safranmilchreis. Tunesisches Lamm wird jetzt sicher ein Hit sein. Auch der weißrussische Wodka, der palettenweise aus der letzten europäischen Diktatur herbeigeschafft wird. Wer sich mit Geopolitik beschäftigt, muss dorthin, nicht zum Laufsteg vom SoHo House. Was ist besser: Eingeklemmt zwischen Jette Joop und Eva Padberg die neue Herbstkollektion betrachten oder afghanischen Milchreis essen? Meine Antwort ist eindeutig. Im Kalten Krieg haben die osteuropäischen und zentralasiatischen Länder die Grüne Woche genutzt, um zu zeigen, dass sie wenigstens kulinarisch unabhängig von den Russen sind. Früher gab’s Überläufer, wilde Parties mit Unmengen Wodka. Ich glaube nicht, dass die Fashion-Week-Besucher so viel Spaß haben.

In diesem Jahr hängt natürlich der unangenehme Geruch vergifteter Eier über der Messe. Aber jeder Nahrungsskandal bietet der Politik die gute Gelegenheit, aufs hohe Ross zu steigen: Renate Künast und Klaus Wowereit werden den Schutz der Berliner Eieresser garantieren und erwarten, dass die im September unvergiftete Wahlzettel abgeben. Seehofer und Guttenberg werden den Schutz der Lebensmittelhersteller garantieren und alle daran erinnern, dass die CSU von einem starken Mann geführt werden muss. Wahrscheinlich tritt Barbie zu Guttenberg in einem Dirndl auf.

Ja, die Grüne Woche ist ein politischer Karneval. Früher ging es um Fortschritt: ein neuer Traktor, eine Maschine, die Eier ein Jahr lang frisch hält, eine neue Kettensäge. Heute geht’s um Risikominimierung, denn dafür interessiert sich der deutsche Wähler am meisten. In der gesamten zurückliegenden Dekade wurde die Messe übertönt von schriller Medienhysterie – wegen BSE (wie viele Menschen sind an der Mad Cow Disease noch gleich gestorben?), Schweinegrippe, Vogelgrippe.

Nach einer Weile – und deshalb ist ein Besuch dort durchaus politisch – merkt man, dass die Nahrungslobby und die Politiker versuchen, uns die Verantwortung zuzuschieben. Die Logik ist einfach: Die Verbraucher (Sie und ich) wollen billiges Essen. Also müssen Produzenten Kompromisse machen. Wir vergiften uns also selbst durch unsere Gier. Wir sind ja ohnehin an allem selber schuld: Wir wollen billigen Urlaub, also sind die Billigflieger gezwungen, den Himmel zu verstopfen, das Klima zu zerstören, Pakistan und Sachsen-Anhalt zu überfluten, Knut die Lebensgrundlage zu rauben und unseren Kindern ihr Erbe. Wir sind schlechte, schlechte Menschen. Warum gab’s eine Finanzkrise? Weil wir billige Kredite wollten, wodurch die Banken sich verrückte Finanzierungsmodelle ausdenken mussten.

Früher sollte einem die Grüne Woche ein gutes Gefühl vermitteln. Inzwischen verursacht sie Unwohlsein, nicht nur weil zu viel afghanischer Pudding die Hölle für die Verdauung ist. Beim Rundgang merkt man, dass es sich um eine Propaganda-Operation handelt, die uns Schuldgefühle machen soll, damit wir mehr Geld für Essen ausgeben und uns der verlogenen Bio-Revolution anschließen. Die Einzigen, die am Ende etwas von dieser Täuschung haben, sind die Bio-Hersteller und die Therapeuten.

Es gibt jedoch eine gute Nachricht: Mein Lieblingsprojekt ist die "Bücherboxx", über die man ausgelesene Bücher weitergeben kann. Man legt sie einfach in einer ungenutzten Telefonzelle ab – am Rüdesheimer Platz ist eine – und nimmt sich andere. Eine großartige Idee, vor allem kann man im Internet den Weg des Buches von Leser zu Leser verfolgen. Endlich mal ein Bio-Projekt, bei dem ich mitmachen will. Meine nächste Gabe liegt schon bereit: Wowereits "… und das ist auch gut so: Mein Leben für die Politik". Mal sehen, ob das jemand mitnimmt.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

Zur Startseite