zum Hauptinhalt

Meinung: Guantanamo in Frankfurt

Der Fall Daschner zeigt, dass das Interesse am Rechtsstaat gesunken ist

Es gibt zahllose Arten, Menschen Schmerzen zuzufügen, und dass sich ein Polizeipräsident einer deutschen Großstadt darin so gut auskennt, um in Interviews wie ein Fachmann darüber zu parlieren, war vielleicht das Verblüffendste am „Fall Daschner“. Aber es ist bei weitem nicht das Einzige, das erstaunt hat. Jetzt kommt Wolfgang Daschner vor Gericht. Viel zu spät, mit einer weich gespülten Anklage und nach einer Debatte, die man sich lieber erspart hätte.

Folter ist verboten, das bekommt jeder einfache Polizeibeamte beigebracht, und man erklärt ihm auch, dass es keine einzige Situation gibt, in der er eine Ausnahme machen darf. Man mag der Frankfurter Polizei zugute halten, dass sie unter enormem Druck gestanden hat, als es für das Leben des Bankierssohns Jakob von Metzler noch Hoffnung gab. Diese Hoffnung aber berechtigt zu gar nichts, das nicht in der Strafprozessordnung steht. Der Staat hat allein deshalb das Gewaltmonopol, weil die Bürger, egal ob gut oder böse, auf die machtbegrenzende Kraft dieser Regeln vertrauen dürfen. Daschner hat dieses Vertrauen missbraucht, und weil der Gesetzgeber es so gründlich schützt, hätte die Anklage auf Aussageerpressung lauten müssen, ein Verbrechenstatbestand mit einem Jahr Mindeststrafe.

Stattdessen winden sich die Staatsanwälte um das Delikt herum mit dem Argument, der Polizist habe ja kein Geständnis erzwingen, sondern ein Leben retten wollen. Also nur Nötigung. Über diese irritierende Logik wird das Gericht noch befinden. Die Motive einer Tat pflegen Richter beim Strafmaß zu berücksichtigen, nicht jedoch beim Tatbestand. Sonst hätte man auch den Kannibalen von Rotenburg freisprechen können – denn der wollte ja nur an Menschenfleisch kommen, aber schließlich niemanden totschlagen.

Natürlich, letztlich gilt es, eine Tat unter Kollegen zu ahnden, von der sich alle Beteiligten gewünscht hatten, sie wäre niemals an die Öffentlichkeit gelangt. Deshalb hat man sich auch nicht beeilt mit den Ermittlungen. Die Rechtsfragen waren diskutiert, die Beweise lagen auf dem Tisch, der Beschuldigte war geständig, und die Zeugen redeten. Selbst mittelmäßig fleißige Staatsanwälte hätten die Anklage in ein paar Wochen fertig gehabt.

Vielleicht hat dies auch etwas Gutes. Es ist Ruhe eingekehrt. Damals ging es hoch her. Ein Grund dafür war die menschliche Betroffenheit. Viele, Eltern vor allem, konnten nur zu gut verstehen, was in Daschner vorgegangen sein musste. Kurzzeitig war der Mann so etwas wie ein Held, weil er die Regeln, die für all zu viele immer nur dem „Täterschutz“ dienen, zu sprengen vermochte. Bedrückend war jedoch, wie sich die Politik und selbst Spitzen der Justiz des Themas bemächtigten. Bald war das Schicksal des Jungen halb vergessen, da ging es um eine qualifizierte Foltererlaubnis im Kampf gegen den Terror.

Diese Debatte zeigte, dass in dem Fall mehr als Mitleid steckte. Welche Qualität ein Rechtsstaat hat oder haben sollte, ist in der politischen Diskussion um Sicherheit und Kriminalität nicht mehr so wichtig wie es früher war. Wer auf der richtigen Seite steht, soll zu allen Mitteln greifen dürfen. Eine Evidenz, beflügelt durch den 11. September und noch einmal bestärkt durch den Irakkrieg. Die so genannte Folterdebatte in Deutschland war unser kleines Guantanamo. Gott sei Dank war es nur Gerede.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false