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Guantánamo-Häftlinge: Merkel verspielt eine große Chance

Es stimmt immer noch: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika ist im Großen und Ganzen gut. Barack Obama schätzt den kühlen Verstand der Kanzlerin. Und die Regierung in Berlin zählt nach wie vor zu den wichtigsten Verbündeten. Aber: US-Präsident Obama braucht Hilfe bei der Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen. Und Deutschland macht hier mit seiner fehlenden Solidarität einen schweren Fehler. Ein Kommentar.

Es stimmt immer noch: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika ist im Großen und Ganzen gut. Barack Obama schätzt den kühlen Verstand der Kanzlerin. Und die Regierung in Berlin zählt nach wie vor zu den wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten.

Und trotzdem droht die Bundesregierung mit ihrer bockigen Haltung in Sachen Aufnahme von Guantánamo-Gefangenen eine riesengroße Chance zu verspielen. Ein bisschen guter Wille im Kanzleramt und im Bundesinnenministerium – und Amerikas Präsident würde sich vor Dankbarkeit kaum mehr einkriegen. Ein positiver Wink aus Berlin würde ihm den Rücken stärken. Obama braucht jetzt dringend Hilfe bei seinem Plan, das Gefangenenlager bis zum 20. Januar 2010 aufzulösen. Doch stattdessen stößt er überall auf Widerstand – nicht nur daheim, sondern fast in der ganzen Welt. "Löffelt die Suppe, die ihr euch eingebrockt habt, gefälligst selber aus", schallt es ihm schnöde entgegen.

Deutschland macht einen schweren Fehler, denn ein wenig mehr Solidarität mit den Vereinigten Staaten würde sich schnell auszahlen. Vor allem dort, wo die Bundesregierung sich amerikanisches Entgegenkommen wünscht: beim Klimaschutz, in der Raketenschutzschild-Frage und so weiter. Endlich hat Deutschland den Präsidenten, den es sich schon immer wünschte: friedliebend, zuhörend, empathisch und partnerschaftlich. Doch es lässt ihn im Stich.

Es ist schon peinlich, dass statt Deutschland jetzt ein Staat, den bis Dienstag kaum jemand kannte, geschweige denn auf der Weltkarte fand, 17 Uiguren aus dem amerikanischen Militärgefängnis eine neue Heimat bieten will. Der Präsident von Palau, Herrscher über 230 Inseln und 20.000 Menschen, verkündete soeben: Wir sind bereit!

Um die Beherbergung dieser einst in Afghanistan aufgegriffenen Uiguren hat Amerika auch die Bundesregierung gebeten. Sie gehören zu einer in China unterdrückten muslimischen Minderheit und müssen bald auf freien Fuß gesetzt werden, weil sich der ursprüngliche Terrorismusverdacht gegen sie nicht belegen lässt.

Nach China können sie nicht zurück, weil das Regime in Peking sie sofort ins Gefängnis sperren würde. Bundesinnenminister Schäuble liegt deshalb seit Wochen eine Liste mit den Namen vor. Die meisten der Uiguren wollen auch am Liebsten in die Bundesrepublik, weil dort – vor allem in und um München herum – schon etliche aus ihrer Volksgruppe leben.

Natürlich kann Deutschland nicht blind Ja zum Aufnahmebegehren sagen, manche Vorbehalte haben durchaus Gewicht: Sind die Uiguren wirklich so harmlos wie manche jetzt behaupten? Oder wurden sie, wie andere meinen, vor den Anschlägen vom 11. September 2001 in afghanischen Trainingslagern zu islamistischen Kämpfern ausgebildet? Warum gewährt Washington den Deutschen nicht volle Akteneinsicht, sondern spielt den Geheimniskrämer? Und warum nimmt Amerika nicht selber einige Uiguren auf? Es ist schon sonderbar, dass die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten um Hilfe bitten, sich selber aber die Guantánamo-Gefangenen möglichst vom Hals halten wollen.

Gleichwohl: Die deutsche Regierung, die einst zu den schärfsten Kritikern Guantánamos gehörte, hätte erst einmal großzügig Ja sagen können – und dann die einzelnen Bedingungen des Asyls beinhart hinter den Kulissen aushandeln können. Aber wie man seit dem Fall Kurnaz weiß, herrscht in Berlin in Sachen Guantánamo zweierlei Maß. Man schwingt öffentlich die Moralkeule, aber stellt sich taub, wenn geholfen werden soll. Zudem ist es nicht auszuschließen, dass die Uiguren der Kanzlerin und vielen ihrer Minister noch aus einem anderen Grund höchst unwillkommen sind: Merkel & Co wollen es sich im Augenblick der wirtschaftlichen Malaise nicht ausgerechnet mit der chinesischen Regierung verscherzen.

Das missmutige Hin und Her in Berlin, die kleinkarierte Bedenkenträgerei – all das hinterlässt derzeit in Amerika keinen guten Eindruck. Es fiel auch auf, dass Angela Merkel, vielleicht unbewusst und sogar unbeabsichtigt, bei Obamas Deutschlandbesuch vergangene Woche meist mit heruntergezogenen Mundwinkeln herumlief. Deutschland wirkt irgendwie verbohrt und stur – und tut sich damit keinen Gefallen. Vier Uiguren aus Guantánamo, heißt es, wollen immer noch nach München. Die Bundesregierung hat also noch eine Chance.

Quelle: ZEIT ONLINE

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